Index   Back Top Print

[ DE  - EN  - ES  - FR  - IT  - PT ]

PASTORALBESUCH VON PAPST FRANZISKUS IN TURIN

BEGEGNUNG MIT KINDERN UND JUGENDLICHEN

ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS

Piazza Vittorio
Sonntag, 21. Juni 2015

[Multimedia]


 

Danke Chiara, Sara und Luigi. Danke, weil die Fragen sich auf das Thema der drei Worte aus dem Johannesevangelium beziehen, das wir gehört haben: Liebe, Leben, Freunde. Drei Worte, die sich im Text nach Johannes überkreuzen und gegenseitig erklären: Man kann im Evangelium nicht vom Leben sprechen, ohne von Liebe zu sprechen – wenn wir vom wahren Leben sprechen wollen –, und man kann nicht von Liebe sprechen, ohne diese Verwandlung von Knechten in Freunde. Diese drei Worte sind sehr wichtig für das Leben, aber alle drei haben eine gemeinsame Wurzel: die Lebensfreude. Und hier erlaube ich mir an die Worte des seligen Pier Giorgio Frassati zu erinnern, eines Jugendlichen, wie ihr es seid: »Leben, nicht sein Dasein fristen!« Leben!

Ihr wisst, dass es schlimm ist, wenn man sieht wie ein junger Mensch »stehenbleibt«, der lebt, aber so – gestattet mir das Wort – wie eine Pflanze: Er handelt, aber sein Leben ist kein Leben, das sich bewegt. Er steht still. Aber, wisst ihr, dass es mich im Herzen sehr traurig macht, wenn ich Jugendliche sehe, die mit 20 Jahren in Rente gehen! Ja, sie sind früh alt geworden…Daher, da Chiara die Frage über die Liebe gestellt hat: Was bewirkt, dass ein Jugendlicher nicht in Rente geht, das ist der Wunsch zu lieben, der Wunsch, das Schönste zu geben, was der Mensch hat, und das Schönste, was Gott hat, denn die Definition, die der Evangelist Johannes von Gott gibt, ist: »Gott ist Liebe.« Und wenn ein junger Mensch liebt, dann lebt er und wächst und geht nicht in Rente. Er wächst, wächst, wächst und gibt.

Aber was ist Liebe? »Ist es die Telenovela, Vater? Das, was wir in den Romanverfilmungen sehen? « Manche glauben, dass das die Liebe schlechthin ist. Von Liebe zu sprechen ist so schön, man kann so viel Schönes sagen. Aber die Liebe hat zwei Achsen, auf denen sie sich bewegt, und wenn jemand, ein junger Mensch nicht diese beiden Achsen hat, diese beiden Dimensionen der Liebe, dann ist es keine Liebe. Vor allem: Liebe liegt mehr im Handeln, als in Worten, Liebe ist konkret. Vor zwei Stunden habe ich zur Salesianischen Familie von der Konkretheit ihrer Berufung gesprochen… – Und ich sehe, dass sie sich jung fühlen, weil sie hier vorne vertreten sind! Sie fühlen sich jung! – Liebe ist konkret, sie liegt mehr im Tun als in den Worten. Das ist keine Liebe, wenn man bloß sagt: »Ich liebe dich, ich liebe alle Menschen.« Nein. Was tust du aus Liebe? Liebe gibt sich hin. Denkt daran, Gott hat begonnen, von Liebe zu sprechen, als er mit seinem Volk in Beziehung trat, als er sein Volk erwählt hat, als er einen Bund mit seinem Volk geschlossen hat, als er sein Volk gerettet hat, als er ihm so viele Male vergeben hat – Gott hat so viel Geduld! –: Er hat gehandelt, Zeichen der Liebe gesetzt, Taten der Liebe.

Und die zweite Dimension, die zweite Achse, um die sich die Liebe dreht, ist, dass Liebe sich immer mitteilt, das heißt die Liebe hört zu und antwortet, Liebe geschieht im Dialog, in der Gemeinschaft: sie teilt sich mit. Liebe ist weder taub noch stumm, sie teilt sich mit. Diese beiden Dimensionen sind sehr nützlich, um zu verstehen, was Liebe ist, dass sie kein romantisches momentanes Gefühl ist oder eine Geschichte. Nein. Sie ist konkret, sie liegt in den Taten. Und sie teilt sich mit, das heißt sie ist im Dialog, immer.

So, Chiara, antworte ich auf deine Frage: »Oft fühlen wir uns gerade in der Liebe enttäuscht. Worin besteht die Größe der Liebe Jesu? Wie können wir seine Liebe erfahren?« Und jetzt, ich weiß, dass ihr ein gutes Herz habt und mir erlauben werdet, aufrichtig zu euch zu sprechen. Ich möchte kein Moralist sein, aber ich möchte ein Wort sagen, das nicht gefällt, ein unpopuläres Wort. Auch der Papst muss zuweilen etwas riskieren,  um die Wahrheit zu sagen. Die Liebe besteht aus Taten, in der Kommunikation, aber die Liebe ist sehr respektvoll gegenüber der Person und gebraucht die Person nicht, dass heißt: die Liebe ist keusch. Und zu euch Jugendlichen in dieser Welt, in dieser hedonistischen Welt, in dieser Welt, wo nur das Vergnügen angepriesen wird, es sich gut gehen zu lassen, sich ein schönes Leben machen, sage ich: Seid keusch, seid keusch!

Wir alle haben in unserem Leben Augenblicke durchgemacht, wo diese Tugend sehr schwer ist. Aber gerade sie ist der Weg einer echten Liebe, einer Liebe, die Leben zu schenken weiß, die nicht versucht, den anderen zum eigenen Vergnügen zu gebrauchen. Es ist eine Liebe, die das Leben des anderen Menschen als heilig und unantastbar betrachtet: Ich respektiere dich, ich will dich nicht gebrauchen, ich will dich nicht gebrauchen. Das ist nicht leicht. Wir alle kennen die Schwierigkeit, diese leichtfertige und hedonistische Auffassung von Liebe zu überwinden.

Verzeiht mir, wenn ich euch etwas sage, das ihr nicht erwartet habt, aber ich bitte euch: Gebt euch Mühe, die Liebe keusch zu leben. Und daraus ziehen wir einen Schluss: Wenn die Liebe respektvoll ist, wenn die Liebe in denTaten liegt, wenn die Liebe sich mitteilt, dann opfert sich die Liebe für die anderen. Schaut die Liebe der Eltern an, die Liebe so vieler Mütter, so vieler Väter, die morgens müde zur Arbeit kommen, weil sie nicht gut geschlafen haben, um sich um ihr krankes Kind zu kümmern. Das ist Liebe! Das ist Respekt! Das heißt nicht, es sich gut gehen lassen.

Das ist – und damit kommen wir zu einem anderen Schlüsselwort – das ist »Dienen«. Liebe ist Dienen, den anderen dienen. Als Jesus nach der Fußwaschung den Aposteln diese Geste erklärt hat, lehrte er, dass wir geschaffen sind, um uns gegenseitig zu dienen. Und wenn ich sage, dass ich liebe, und dem anderen nicht diene, dem anderen nicht helfe, ihn nicht voran bringe, wenn ich mich nicht für den anderen opfere, dann ist das keine Liebe. Ihr habt das Kreuz [das Weltjugendtagskreuz] getragen: das ist das Zeichen der Liebe. Diese Liebesgeschichte Gottes, der mit Taten und Dialog, mit Respekt, Vergebung, Geduld in so vielen Jahrhunderten der Geschichte mit seinem Volk in Beziehung steht, endet dort: sein Sohn am Kreuz, der größte Dienst, der die Hingabe des Lebens ist, sich opfern, den anderen helfen. Es ist nicht leicht, von Liebe zu sprechen. Es ist nicht leicht, die Liebe zu leben. Aber mit dem, was ich als Antwort gesagt habe, Chiara, habe ich dir, glaube ich, etwas weitergeholfen in den Fragen, die du mir gestellt hast. Ich weiß nicht, ich hoffe, dass es dir nützt.

Und ich danke auch dir, Sara, die du vom Theater begeistert bist. Danke. »Ich denke an die Worte Jesu: das Leben hingeben.« Darüber haben wir jetzt gesprochen. »Oft spüren wir im Leben ein Gefühl der Entmutigung.« Ja, denn es gibt Situationen, die uns denken lassen: »Lohnt es sich eigentlich, so zu leben? Was kann ich mir von diesem Leben erwarten?« Denken wir an die Kriege in dieser Welt. Mehrmals habe ich gesagt, dass wir den dritten Weltkrieg erleben, aber stückchenweise. Stückchenweise: in Europa gibt es Krieg, in Afrika gibt es Krieg, im Nahen Osten gibt es Krieg, in anderen Ländern gibt es Krieg… Aber kann ich Vertrauen und Zuversicht in ein solches Leben haben? Kann ich den führenden Persönlichkeiten dieser Welt vertrauen? Wenn ich für einen Kandidaten stimme, kann ich ihm dann vertrauen, dass er mein Land nicht in den Kriegführen wird? Wenn du nur auf die Menschen vertraust, dann hast du verloren! Etwas macht mich nachdenklich: Menschen, Unternehmer, leitende Angestellte, die sich als Christen bezeichnen, produzieren Waffen! Das schürt etwas Misstrauen: sie nennen sich Christen! »Nein, nein, Vater. Ich stelle sie nicht her… Ich habe nur meine Ersparnisse, meine Investitionen in Waffenfabriken.« – Ah. Und warum? – »Weil die Zinsen ein bisschen höher sind…« Und auch Doppelzüngigkeit ist heute gängige Münze: eines sagen und etwas anderes tun. Heuchelei… Aber sehen wir, was im vergangenen Jahrhundert geschehen ist: 1914, 1915, eigentlich 1915. Es gab diese große Tragödie Armeniens. So viele sind gestorben. Ich weiß die Zahl nicht: sicher mehr als eine Million. Aber wo waren die Großmächte jener Zeit? Sie schauten weg. Warum? Weil sie am Krieg interessiert waren: an ihrem Krieg! Und diejenigen, die sterben, sind Menschen zweiter Klasse.

Dann in den 1930er, 1940er Jahren: die Tragödie der Shoah. Die Großmächte hatten die Fotografien der Eisenbahnlinien, auf denen die Züge in Konzentrationslager wie Auschwitz fuhren, um die Juden zu töten, und auch Christen, auch Roma, auch Homosexuelle, um sie dort zu töten. Sag mir, warum haben sie das nicht bombardiert? Eigeninteresse! Und ein wenig später, fast gleichzeitig, gab es die Lager in Russland: Stalin… Wie viele Christen haben gelitten, sind getötet worden! Die Großmächte haben Europa untereinander aufgeteilt wie eine Torte. Sehr viele Jahre mussten vergehen, bis es zu einer »gewissen« Freiheit kam. Es gibt jene Heuchelei, von Frieden zu sprechen und Waffen herzustellen, und sogar die Waffen an diesen zu verkaufen, der sich mit jenem im Krieg befindet, und auch an jenen, der sich im Krieg mit diesem befindet!

Ich verstehe, was du über die Entmutigung im Leben sagst, auch heute, wo wir in einer Wegwerfkultur leben. Denn, was keinen wirtschaftlichen Nutzen hat, wird weggeworfen, ausgegrenzt. Kinder werden ausgegrenzt, weil sie nicht gezeugt oder bereits vor der Geburt getötet werden. Die Alten werden ausgegrenzt, weil sie zu nichts nütze sind. Man lässt sie allein, sie sterben, eine Art heimlicher Euthanasie, und man hilft ihnen nicht zu leben. Und jetzt werden die Jugendlichen ausgegrenzt, wenn man an die 40% von ihnen denkt, die keine Arbeit haben. Das ist Ausgrenzung! Aber warum? Weil im Weltwirtschaftssystem nicht der Mann und die Frau im Mittelpunkt stehen, wie es dem Willen Gottes entspricht, sondern der Götze Geld. Und alles tut man wegen des Geldes. Im Spanischen gibt es eine schöne Redensart, die lautet: »Por la plata baila el mono.« Ich übersetze: »Für Geld tanzt auch der Affe.« Und kann man so, mit dieser Wegwerfkultur, dieser Kultur der Ausgrenzung, Vertrauen in das Leben haben? Mit diesem Gefühl der Entmutigung und des Misstrauens, das sich immer mehr ausbreitet? Ein junger Mensch, der nicht studieren kann, der keine Arbeit hat, der sich schämt und unwürdig fühlt, weil er keine Arbeit hat, sich nicht seinen Lebensunterhalt verdient. Wie oft enden diese Jugendlichen in der Abhängigkeit? Wie oft begehen sie Selbstmord? Die Statistiken der Selbstmorde von Jugendlichen sind nicht sehr bekannt. Oder wie oft brechen diese jungen Menschen auf, um an der Seite der Terroristen zu kämpfen, um wenigstens etwas zu tun, für ein Ideal. Ich verstehe diese Herausforderung.

Und deshalb hat Jesus uns gesagt, unsere Sicherheit nicht auf den Reichtum und weltliche Mächte zu setzen. Wie kann ich dem Leben trauen? Was kann ich tun, wie kann ich ein Leben leben, das nicht zerstörerisch ist, das kein Leben der Zerstörung ist, ein Leben, das die Menschen nicht ausgrenzt? Wie kann ich ein Leben leben, das mich nicht enttäuscht? Und ich komme zur Antwort auf die Frage von Luigi: Er hat von einem Projekt des Teilens gesprochen, das heißt der Verbindung, des Aufbauens. Wir müssen unsere Projekte des Aufbauens voranbringen, dann wird uns dieses Leben nicht enttäuschen. Wenn du dich da einbringst, in ein Projekt des Aufbauens, der Hilfe – denken wir an die Straßenkinder, an die Migranten, an die vielen Bedürftigen, aber nicht nur, um ihnen einen Tag, zwei Tage lang, zu Essen zu geben, sondern um sie mit der Bildung, mit der Einheit zu fördern, in der Freude der Oratorien und vielen anderen Dingen, aber Dingen, die aufbauen: dann wird dieses Gefühl der Entmutigung, des Misstrauens gegenüber dem Leben weggehen, es wird verschwinden. Was muss ich dafür tun? Nicht zu früh in Rente gehen: handeln. Handeln.

Und ich werde ein Wort sagen: gegen den Strom schwimmen. Handeln und dabei gegen den Strom schwimmen. Für euch Jugendliche, die ihr in dieser wirtschaftlichen und auch kulturellen, hedonistischen, konsumistischen Situation lebt mit diesen »Seifenblasen-Werten«: Mit diesen Werten kommt man nicht weiter. Konstruktives tun, auch wenn es kleine Dinge sind, die aber verbinden, die uns miteinander, mit unseren Idealen verbinden: Das ist das beste Gegenmittel gegen dieses Misstrauen dem Leben gegenüber, gegen diese Kultur, die dir nur Vergnügen anbietet: es sich gut gehen lassen, Geld haben und an nichts anderes denken.

Danke für die Fragen. Dir, Luigi, habe ich zum Teil geantwortet, oder nicht? Gegen den Strom  schwimmen, das heißt kreativ und mutig sein, kreativ sein. Vergangenen Sommer habe ich an einem Nachmittag, es war im August, Rom war ausgestorben, eine Gruppe von Jungen und Mädchen empfangen, die am Telefon mit mir gesprochen hatten: sie zelteten in verschiedenen Städten Italiens und sind zu mir gekommen. Ich hatte sie eingeladen zu kommen. Aber die Armen, sie waren schmutzig, müde… aber voller Freude! Denn sie hatten etwas getan, was »gegen den Strom« ging!

Wie oft will uns die Werbung weismachen, dass dieses oder jenes schön und gut ist. Sie lassen uns glauben, dass es »Diamanten« sind, aber schaut, sie verkaufen uns Glas! Und dagegen müssen wir angehen, nicht naiv sein. Keinen  Schmutz kaufen, der uns als Diamant angeboten  wird. Und zum Schluss möchte ich ein Wort von Pier Giorgio Frassati wiederholen: Wenn ihr im  Leben etwas Gutes tun wollt, dann lebt und fristet  nicht euer Dasein! Lebt!

Aber ihr seid intelligent und werdet sicher sagen: »Aber, Vater, Sie sprechen so, weil Sie im Vatikan sind und so viele Monsignori haben, die dort die Arbeit für Sie tun. Sie haben ein ruhiges Leben und wissen nicht, was das alltägliche Leben ist…« Ja, jemand könnte das meinen. Das Geheimnis ist, gut zu verstehen, wo man lebt. In dieser Region – und das habe ich auch zur Salesianischen Familie gesagt – herrschten Ende des 19. Jahrhunderts die schlechtesten Bedingungen für das Wachstum der Jugend: Die Freimaurer waren auf dem Höhepunkt, die Kirche konnte nichts tun, es gab die »Pfaffenverächter« und auch Satanisten… Es war einer der schlimmsten Augenblicke und auch der schlimmsten Orte der Geschichte Italiens. Aber wenn ihr eine schöne Hausaufgabe machen wollt, dann schaut nach, wie viele heilige Männer und Frauen in dieser  Zeit herangewachsen sind! Warum? Weil sie gemerkt haben, dass sie angesichts dieser Kultur, dieser Art zu leben gegen den Strom schwimmen müssen. Die Realität, in der Realität leben. Und wenn diese Realität Glas ist und kein Diamant, dann suche ich Realität, indem ich gegen den Strom schwimme, und verwirkliche meine Realität, etwas, das Dienen für die anderen ist. Denkt an eure Heiligen dieser Gegend, was haben sie  getan!

Und vielen, vielen Dank! Immer: Liebe, Leben, Freunde. Aber diese Worte kann man nur »im Aufbruch« leben: indem man hinausgeht, um  etwas zu bringen. Wenn du unbeweglich bleibst, dann wirst du im Leben nichts tun und das deine ruinieren.

Ich habe vergessen, euch zu sagen, dass ich jetzt die schriftlich vorbereitete Ansprache übergeben werde. Ich kannte eure Fragen und habe etwas über eure Fragen geschrieben. Aber es ist nicht das, was ich gesagt habe. Das kam jetzt aus meinem Herzen. Ich werde dem Verantwortlichen die Ansprache übergeben und du wirst sie veröffentlichen [Der Papst übergibt dem für die  Jugendpastoral zuständigen Priester die Ansprache.] Hier sind sehr viele Studenten anwesend, aber hütet euch davor zu meinen, dass Universität bedeutet, nur mit dem Kopf zu studieren: Student zu sein bedeutet auch hinausgehen, hinausgehen und dienen, mit den Armen vor allem! Danke.


Vom Heiligen Vater vorbereitete Ansprache:

Liebe Jugendliche!

Ich danke euch für diesen herzlichen Empfang! Und danke für eure Fragen, die uns in das Herz des Evangeliums führen.

Die erste über die Liebe stellt die Frage nach dem tiefen Sinn der Liebe Gottes, die uns von Jesus, dem Herrn, geschenkt wird. Er zeigt uns, wie weit die Liebe geht: bis zur totalen Selbsthingabe, bis zur Hingabe des eigenen Lebens, wie wir es im Geheimnis des Grabtuchs betrachten, wenn wir in ihm die Ikone »der Liebe bis zur Vollendung « erkennen. Aber diese Hingabe unserer selbst darf man sich nicht vorstellen als seltenen heroischen Akt oder so, als sei sie einigen außerordentlichen Anlässen vorbehalten. So könnten wir riskieren, die Liebe zu besingen, von ihr zu träumen, ihr Beifall zu spenden… ohne uns von ihr berühren und einbeziehen zu lassen! Die Größe der Liebe offenbart sich in der treuen und geduldigen Sorge für die Bedürftigen. Daher ist derjenige groß in der Liebe, der sich klein zu machen versteht wie Jesus, der der Diener aller geworden ist. Lieben und nahe sein, das Fleisch Christi in den Armen und Geringen berühren; die Nöte, Bitten, Einsamkeiten der Menschen um uns herum für die Gnade Gottes öffnen. Dann kommt die Liebe Gottes in die kleinen Dinge, verwandelt sie und macht sie groß, macht sie zum Zeichen seiner Gegenwart. Der heilige Johannes Bosco ist für uns ein Lehrmeister gerade in seiner Fähigkeit, ausgehend von der Nähe, die er zu Kindern und Jugendlichen gelebt hat, zu lieben und zu erziehen.

Im Licht dieser Verwandlung, die Frucht der Liebe ist, können wir auf die zweite Frage antworten, über das Misstrauen gegenüber dem Leben Fehlende Arbeit und Zukunftsperspektiven tragen sicherlich dazu bei, die Bewegung des Lebens zu behindern und bewirken bei vielen eine Abwehrhaltung: an sich selbst denken, mit Zeit und Ressourcen im Hinblick auf das eigene Wohlergehen haushalten, die Risiken jeglicher Art von Großherzigkeit begrenzen… Das alles sind Symptome für ein zurückgehaltenes, um jeden Preis bewahrtes Leben, das letztendlich auch zu Entmutigung und Zynismus führen kann. Jesus lehrt uns dagegen, den entgegengesetzten Weg zu gehen: »Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten« (Lk 9,24). Das bedeutet, dass wir nicht auf günstige äußere Umstände warten dürfen, um uns wirklich einzubringen, sondern dass wir im Gegenteil, nur wenn wir das Leben einsetzen – uns bewusst, es zu verlieren! –, für uns und für die anderen Bedingungen schaffen für neues Vertrauen in die Zukunft. Und  hier gehen die Gedanken spontan zu einem Jugendlichen, der sein Leben wirklich auf diese Weise hingegeben hat, so dass er für die jungen Generationen Italiens und der Welt zu einem Vorbild des Vertrauens und der Kühnheit im Sinn des Evangeliums geworden ist: der selige Pier Giorgio Frassati. Sein Motto war: »Leben, nicht sein Dasein fristen!« Das ist der Weg, um die Kraft und Freude des Evangeliums in ganzer Fülle zu erfahren. So werdet ihr nicht nur Vertrauen in die Zukunft wiedergewinnen, sondern auch unter euren Freunden und in eurem Lebensumfeld Hoffnung wecken können.

Eine große Leidenschaft Pier Giorgio Frassatis war die Freundschaft. Und eure dritte Frage lautete gerade: Wie kann man Freundschaft offenleben, fähig, die Freude des Evangeliums zu vermitteln?Ich habe gehört, dass dieser Platz, auf dem wir uns befinden, am Freitag- und Samstagabend von Jugendlichen stark frequentiert wird. So ist es in all unseren Städten und Ortschaften.  Ich denke einige von euch treffen sich hier oder auf anderen Plätzen mit ihren Freunden. Und da stelle ich euch eine Frage – jeder möge für sich darüber nachdenken und in seinem Inneren antworten:Gelingt es euch, in jenen Augenblicken,  wenn ihr in Gesellschaft seid, eure Freundschaftmit Jesus »durchscheinen« zu lassen in eurer Einstellung, in eurem Verhalten? Denkt ihr manchmal auch in der Freizeit, bei der Erholung daran, dass ihr kleine Rebzweige seid, die mit der Rebe, mit Jesus, verbunden sind? Ich versichere euch, dass ihr den »Lebenssaft« des Heiligen Geistes spüren werdet, wenn ihr gläubig an diese Realität denkt, und ihr werdet Frucht bringen, fast ohne es zu merken: Ihr werdet mutig, geduldig, demütig sein können, fähig zum Teilen, aber auch anders zu sein, sich zu freuen, mit denen, die sich freuen, zu weinen mit den Weinenden, ihr werdet dem wohlgesonnen sein können, der euch nicht wohlgesonnen ist, und Böses mit dem Guten beantworten zu verstehen. Und so werdet ihr das Evangelium verkünden!

Die heiligen Männer und Frauen von Turin lehren uns, dass jede Erneuerung, auch die der Kirche, sich über unsere persönliche Bekehrung vollzieht, durch jene Öffnung des Herzens, die die Überraschungen Gottes annimmt und erkennt, gedrängt von der größeren Liebe (vgl. 2 Kor 5,14), die uns Freunde auch der einsamen, leidenden und ausgegrenzten Menschen sein lässt.

Liebe Jugendliche, gemeinsam mit diesen älteren Brüdern und Schwestern – den Heiligen – haben wir in der Familie der Kirche eine Mutter, vergessen wir das nicht! Ich wünsche euch, dass ihr euch dieser zärtlichen Mutter ganz anvertrauen könnt, die auf die Anwesenheit dieser »größeren Liebe« hinwies, gerade mitten unter jungen Menschen auf einer Hochzeitsfeier. Die Muttergottes ist die »Freundin, die stets aufmerksam ist, dass der Wein in unserem Leben nicht fehlt« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 286). Beten wir, dass sie es uns am Wein der Freude nicht fehlen lasse! Ich danke euch allen! Gott segne alle. Und bitte betet für mich.

 

 


Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana