ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER AM GENERALKAPITEL
DES DOMINIKANERORDENS
Sala Clementina
Donnerstag, 4. August 2016
Liebe Brüder und Schwestern!
Wir könnten diesen Tag heute beschreiben mit »ein Jesuit unter Brüdern«: am Vormittag bei euch und am Nachmittag in Assisi bei den Franziskanern: unter Brüdern. Ich heiße euch willkommen und danke für die Begrüßung durch P. Bruno Cadoré, Generalmagister des Ordens, die er in seinem und in euer aller Namen an mich gerichtet hat, während in Bologna das Generalkapitel zu Ende geht, wo ihr am Grab des heiligen Ordensgründers eure Wurzeln neu beleben wolltet.
Dieses Jahr hat für eure Ordensfamilie eine besondere Bedeutung, weil 800 Jahre vergangen sind, seit Papst Honorius III. den Predigerorden anerkannt hat. Aus Anlass des Jubiläums, das ihr aus diesem Grund begeht, schließe ich mich euch an in der Danksagung für die reichen Gaben, die ihr im Laufe dieser Zeit empfangen habt. Außerdem möchte ich meiner Dankbarkeit gegenüber dem Orden Ausdruck verleihen für die bedeutsame Unterstützung der Kirche und für die Zusammenarbeit mit dem Heiligen Stuhl, die er im Geist des treuen Dienstes von den Ursprüngen bis heute aufrechterhalten hat.
Dieses 800-Jahr-Jubiläum lässt uns der Männer und Frauen des Glaubens und der Gelehrsamkeit gedenken, Kontemplative und Missionare, Märtyrer und Apostel der Nächstenliebe, die die Liebkosung und Zärtlichkeit Gottes überallhin gebracht haben. So haben sie die Kirche bereichert und neue Möglichkeiten aufgezeigt, um das Evangelium durch die Verkündigung, das Zeugnis und die Nächstenliebe zu verkörpern: drei Grundpfeiler, die die Zukunft des Ordens gewährleisten, weil sie die Frische des Gründungscharismas bewahren.
Gott drängte den heiligen Dominikus, einen »Predigerorden« zu gründen, da die Predigt die Aufgabe war, die Jesus den Aposteln übertragen hatte. Das Wort Gottes brennt im Inneren und drängt zum Hinausgehen, um allen Völkern Jesus Christus zu verkünden (vgl. Mt 28,19-20). Euer Gründervater pflegte zu sagen: »Zuerst betrachten, dann lehren«. Von Gott evangelisiert sein, um zu evangelisieren. Ohne eine tiefe Einheit mit ihm kann die Predigt zwar perfekt sein, gut durchdacht und sogar bewundernswert, aber sie rührt das Herz nicht. Doch gerade dieses Herz ist das, was sich ändern muss. Unerlässlich ist neben dem ernsthaften und fortwährenden Studium der theologischen Fächer auch alles, was es uns ermöglicht, uns der Wirklichkeit zu nähern und dem Volk Gottes Gehör zu schenken. Der Prediger ist ein Kontemplativer des Wortes Gottes und auch ein Kontemplativer des Volkes, das erwartet, verstanden zu werden (vgl. Evangelii gaudium, 154).
Für eine wirksamere Vermittlung des Wortes Gottes ist das Zeugnis erforderlich: Lehrmeister, der Wahrheit treu sind, und mutige Zeugen des Evangeliums. Der Zeuge verkörpert die Lehre, macht sie greifbar, anziehend, und er lässt niemanden gleichgültig. Mit der Wahrheit vereint er die Freude des Evangeliums, die Freude über das Wissen, von Gott geliebt und Ziel seiner unendlichen Barmherzigkeit zu sein (vgl. ebd 142). Der heilige Dominikus pflegte zu seinen Schülern zu sagen: »Barfuß gehen wir predigen.« Das erinnert uns an den Brennenden Dornbusch, wo Gott zu Mose sagt: »Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden« (Ex 3,5). Der gute Prediger weiß, dass er sich auf heiligem Boden bewegt, weil das Wort, das er bringt, heilig ist und auch die Empfänger des Wortes heilig sind. Es ist für die Gläubigen nicht nur notwendig, das Wort Gottes in seiner Vollständigkeit zu empfangen, sondern sie müssen auch das Lebenszeugnis dessen spüren, der predigt (vgl. Evangelii gaudium, 171). Die Heiligen haben überreiche Frucht gebracht, weil sie mit ihrem Leben und ihrer Mission die Sprache des Herzens sprechen, die keine Hindernisse kennt und für alle verständlich ist.
Schließlich müssen der Prediger und der Zeuge dies in Liebe sein. Ohne diese werden sie umstritten und fragwürdig sein. Der heilige Dominikus befand sich am Beginn seines Lebens in einem Zwiespalt, der seine gesamte Existenz kennzeichnete: »Wie kann ich über toten Häuten studieren, während das Fleisch Christi leidet?« Der lebendige und leidende Leib Christi ist es, dessen Schrei der Prediger hört und der ihm keine Ruhe lässt. Der Schrei der Armen und Ausgeschlossenen weckt neu das Mitleid, das Jesus für die Menschen empfand (Mt 15,32), und macht es verständlich. Wenn wir uns umschauen, dann stellen wir fest, dass der Mann und die Frau von heute nach Gott dürsten. Sie sind das lebendige Fleisch Christi, das schreit: »Mich dürstet« nach einem authentischen und befreienden Wort, nach einer brüderlichen, liebevollen Geste. Dieser Schrei fordert uns heraus und muss das Rückgrat der Mission sein und den pastoralen Strukturen und Plänen Leben einhauchen. Denkt daran bei euren Reflexionen über die Notwendigkeit, das Organigramm des Ordens zu ändern, um die Antwort zu erkennen, die auf diesen Schrei Gottes gegeben werden muss. Je mehr wir hingehen, um den Durst des Nächsten zu löschen, desto mehr werden wir Prediger der Wahrheit sein, jener mit Liebe und Barmherzigkeit verkündeten Wahrheit, von der die heilige Katharina von Siena spricht (vgl. Buch der göttlichen Lehre, 35). In der Begegnung mit dem lebendigen Fleisch Christi werden wir evangelisiert und finden die Leidenschaft wieder, Verkünder und Zeugen seiner Liebe zu sein. Und wir befreien uns von der heute so aktuellen gefährlichen Versuchung des Gnostizismus.
Liebe Brüder und Schwestern, mit einem dankbaren Herzen für die vom Herrn für euren Orden und für die Kirche empfangenen Gaben ermutige ich euch, dem vom heiligen Dominikus inspirierten Charisma freudig zu folgen, das von vielen heiligen Männern und Frauen des Dominikanerordens in verschiedenen Schattierungen gelebt worden ist. Sein Beispiel ist ein Antrieb, sich voller Hoffnung der Zukunft zu stellen wissend, dass Gott stets alles neu macht… und niemals enttäuscht. Möge unsere Mutter, die allerseligste Jungfrau vom Rosenkranz, für euch Fürsprache halten und euch beschützen, damit ihr mutige Prediger und Zeugen der Liebe Gottes seid. Danke!
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