ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DAS NATIONALKOMITEE FÜR BIOETHIK
Konsistoriensaal
Donnerstag, 28. Januar 2016
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich heiße einen jeden von Ihnen herzlich willkommen und danke dem Präsidenten, Prof. Casavola, für die freundlichen Worte, mit denen er unsere Begegnung eingeleitet hat. Ich freue mich, die Anerkennung der Kirche zum Ausdruck bringen zu können für die Tatsache, dass es seit nunmehr 25 Jahren in Italien beim Präsidium des Ministerrates das Nationalkomitee für Bioethik gibt. Alle wissen, wie sensibel die Kirche gegenüber ethischen Thematiken ist. Aber vielleicht ist nicht allen ebenso klar, dass die Kirche auf diesem Gebiet keinen privilegierten Raum beansprucht, sondern im Gegenteil froh ist, wenn das zivile Bewusstsein auf den verschiedenen Ebenen in der Lage ist, auf der Grundlage der freien und offenen Vernunft und der Grundwerte der Person und der Gesellschaft nachzudenken, Entscheidungen zu treffen und zu handeln. Denn gerade diese verantwortliche zivile Reife ist das Zeichen dafür, dass die Saat des Evangeliums – und diese ist in der Tat der Kirche offenbart und anvertraut – Frucht getragen hat, indem sie die Suche nach dem Wahren und dem Guten und dem Schönen in den schwierigen menschlichen und ethischen Fragen fördern konnte.
Es geht im Wesentlichen darum, dem Menschen – dem ganzen Menschen, allen Männern und Frauen – zu dienen, mit besonderer Aufmerksamkeit und Fürsorge – wie bereits erwähnt wurde – gegenüber den schwächeren und benachteiligten Subjekten, die Mühe haben, ihre Stimme zu Gehör zu bringen, oder sie noch nicht oder nicht mehr zu Gehör bringen können. Auf diesem Gebiet begegnen die kirchliche und die zivile Gemeinschaft einander und sind aufgerufen, ihren jeweiligen unterschiedlichen Zuständigkeiten gemäß zusammenzuarbeiten.
Dieses Komitee hat sich mehrmals mit der Achtung der Unversehrtheit des Menschen und dem Schutz der Gesundheit von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod befasst. Dabei hat es die Person in ihrer Einzigartigkeit betrachtet, stets als Ziel und nie einfach nur als Mittel. Dieses ethische Prinzip ist auch grundlegend in Bezug auf die biotechnologischen Anwendungen im medizinischen Bereich, die nie so gebraucht werden dürfen, dass sie der Würde des Menschen schaden, und die auch nicht allein von industriellen und kommerziellen Zielen bestimmt sein dürfen.
Die Bioethik ist entstanden, um durch ein kritisches Bemühen die von der Würde der menschlichen Person geforderten Einsichten und Voraussetzungen den Entwicklungen der biologischen und medizinischen Wissenschaften und Technologien, die in ihrem beschleunigten Rhythmus jeglichen Bezug außer Nutzen und Profit zu verlieren drohen, gegenüberzustellen. Wie schwer es manchmal ist, diese Einsichten zu erkennen, und auf wie viele verschiedene Weisen versucht wird, sie zu begründen, geht aus den vom Nationalkomitee für Bioethik formulierten Meinungen hervor. Die anspruchsvolle Arbeit der Suche nach der ethischen Wahrheit ist daher jenen als Verdienst zuzurechnen, die dort gewirkt haben – umso mehr noch in einem Umfeld, das vom Relativismus geprägt ist und den Fähigkeiten der menschlichen Vernunft wenig Vertrauen entgegenbringt. Sie sind sich bewusst, dass die Erforschung der komplexen bioethischen Probleme nicht einfach ist und nicht immer rasch zu einem harmonischen Abschluss gelangt; dass sie stets Demut und Realitätssinn erfordert und die Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Positionen nicht fürchtet; und dass schließlich das von der Wahrheit abgelegte Zeugnis zum Heranreifen des zivilen Bewusstseins beiträgt.
Insbesondere möchte ich Ihre Arbeit in einigen Bereichen ermutigen, die ich kurz erwähne. 1. Die interdisziplinäre Untersuchung der Ursachen der Umweltschäden. Ich hoffe, dass das Komitee Richtlinien formulieren kann auf den Gebieten, die die Biowissenschaften betreffen, um Maßnahmen zum Schutz, zur Wahrung und zur Pflege der Umwelt zu fördern. In diesem Bereich ist eine Gegenüberstellung der biozentrischen und der anthropozentrischen Theorien angebracht, um nach Wegen zu suchen, die die rechtmäßige Zentralität des Menschen anerkennen, unter Achtung der anderen Lebewesen und der gesamten Umwelt – auch um dazu beizutragen, die unverzichtbaren Voraussetzungen für den Schutz der zukünftigen Generationen zu definieren. Als ich einmal über diesen Schutz der zukünftigen Generationen sprach, antwortete mir ein etwas verbitterter und skeptischer Wissenschaftler: »Sagen Sie, Vater, wird es denn welche geben?«
2. Das Thema der Behinderung und der Ausgrenzung der schwachen Subjekte in einer nach Wettbewerb, Beschleunigung und Fortschritt strebenden Gesellschaft. Es ist die Herausforderung, sich der Wegwerfkultur zu widersetzen, die heute viele Ausdrucksformen hat. Dazu gehört die Behandlung menschlicher Embryonen als Wegwerfmaterial ebenso wie die kranker und alter Menschen, die sich dem Tod nähern. 3. Das immer größere Bemühen um eine internationale Auseinandersetzung im Hinblick auf eine mögliche und wünschenswerte, wenngleich schwierige Abstimmung der Normen und Regeln der biologischen und medizinischen Tätigkeiten – Regeln, die die Grundwerte und Grundrechte anerkennen.
Abschließend bringe ich meine Anerkennung dafür zum Ausdruck, dass Ihr Komitee versucht hat, Strategien zur Sensibilisierung der öffentlichen Meinung – angefangen bei der Schule – über bioethische Fragen zu entwickeln, zum Beispiel zum Verständnis der biotechnologischen Fortschritte. Sehr geehrte Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihren Besuch und für diesen Augenblick der Reflexion und der Begegnung. Der Herr segne einen jeden von Ihnen und Ihre wertvolle Tätigkeit. Ich versichere Sie meines Wohlwollens und meines Gebetsgedenkens, und ich vertraue auch auf das Ihre. Danke.
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