ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER AN EINER TAGUNG
ZUR KATECHESE FÜR MENSCHEN MIT BEHINDERUNG
Aula Paolo VI
Samstag, 11. Juni 2016
Der Heilige Vater beantwortet einige Fragen
Die erste Frage war sehr reichhaltig, sehr reichhaltig. Und sie sprach von der Verschiedenheit. Alle sind wir verschieden: Es gibt niemanden, der genauso ist wie der andere. Es gibt einige größere oder kleinere Verschiedenheiten, aber wir sind alle verschieden. Und sie, das Mädchen, das die Frage gestellt hat, hat gesagt: »Oft haben wir Angst vor der Verschiedenheit.« Sie macht uns Angst. Warum? Denn auf einen anderen Menschen zuzugehen, der – sagen wir einmal – keine starke, aber doch eine große Verschiedenheit hat, das ist eine Herausforderung, und jede Herausforderung macht uns Angst. Es ist bequemer, sich nicht zu bewegen. Es ist bequemer, die Verschiedenheit zu ignorieren und zu sagen: »Wir sind alle gleich, und wenn es jemanden gibt, der nicht gar so ›gleich‹ ist, dann lassen wir ihn außen vor, wir gehen ihm nicht entgegen.« Das ist die Angst, die jede Herausforderung uns macht. Jede Herausforderung schüchtert uns ein, macht uns Angst, macht uns ein wenig furchtsam.
Aber nein! Die Verschiedenheiten sind gerade der Reichtum, weil ich etwas habe, du hast etwas anderes, und mit diesen beiden Dingen machen wir etwas noch Schöneres, noch Größeres. Und so können wir vorangehen. Stellen wir uns eine Welt vor, in der alle gleich sind: Das wäre eine langweilige Welt! Es ist wahr, dass einige Verschiedenheiten schmerzhaft sind, das wissen wir alle, jene Verschiedenheiten, die ihren Ursprung in einigen Krankheiten haben… aber auch diese Verschiedenheiten helfen uns, sie fordern uns heraus und sie bereichern uns.
Daher darf man niemals Angst haben vor der Verschiedenheit: Sie ist genau der Weg, um besser zu werden, um schöner und reicher zu werden. Und wie tut man das? Indem wir zusammenlegen, was wir haben. Etwas zusammenlegen, gemeinsam haben. Es gibt eine sehr schöne Geste, die uns Menschen zu Eigen ist, eine Geste, die wir fast ohne darüber nachzudenken tun, aber es ist eine sehr tiefe Geste: die Hand geben. Wenn ich die Hand gebe, dann bringe ich in das Gemeinsame ein, was ich dir gegenüber habe, falls es ein ehrliches Händeschütteln ist: Ich gebe dir die Hand, ich gebe dir, was mir gehört, und du gibst mir, was dir gehört. Und das ist etwas, das allen gut tut. Gehen wir voran mit den Verschiedenheiten, denn die Verschiedenheiten sind eine Herausforderung, aber sie lassen uns wachsen. Und denken wir daran: Jedes Mal, wenn ich einem anderen die Hand gebe, gebe ich etwas von mir und empfange etwas vom anderen. Auch das lässt uns wachsen. Das kommt mir in den Sinn als Antwort auf die erste Frage.
Bei der ersten Frage habe ich etwas vergessen, aber ich werde es jetzt sagen, zusammen mit dieser Frage, die Serena gestellt hat. Serena bringt mich in Verlegenheit, denn wenn ich sagen würde, was ich denke… Sie hat nicht viel gesagt, drei, vier Zeilen, aber sie hat sie mit Entschiedenheit gesagt! Serena hat von einem der schlimmsten Dinge geredet, die es unter uns gibt: Diskriminierung. Das ist etwas sehr Hässliches! »Du bist nicht so wie ich, du gehst dorthin und ich hierhin.« »Aber ich möchte Katechismusunterricht geben…« »In dieser Pfarrei nicht. Diese Pfarrei ist für jene, die sich ähnlich sind, es gibt keine Unterschiede… « Das ist eine gute Pfarrei, oder nicht? [Die Anwesenden rufen: Nein!] Was soll der Pfarrer tun?… Sich bekehren? Es ist wahr, dass du eine Vorbereitung brauchst, wenn du die Kommunion empfangen willst. Und wenn du diese Sprache nicht verstehst, zum Beispiel wenn du taub bist, dann musst du in dieser Pfarrei die Möglichkeit haben, dich in der Gebärdensprache vorzubereiten. Ja, das ist wichtig!
Wenn du anders bist, dann hast auch du die Möglichkeit, besser zu sein, das ist wahr. Die Verschiedenheit heißt nicht, dass derjenige, der fünf Sinne hat, die gut funktionieren, besser ist als derjenige, der zum Beispiel taubstumm ist. Nein! Das ist nicht wahr! Alle haben wir dieselbe Möglichkeit zu wachsen, voranzugehen, den Herrn zu lieben, Gutes zu tun, die christliche Lehre zu verstehen. Und alle haben wir dieselbe Möglichkeit, die Sakramente zu empfangen. Verstanden? Als vor vielen Jahren – vor hundert Jahren oder mehr – Papst Pius X. sagte, dass man den Kindern die Kommunion geben sollte, haben viele sich empört. »Aber das Kind versteht nicht, es ist anders, es versteht es nicht richtig…« »Gebt den Kindern die heilige Kommunion«, hat der Papst gesagt, und er hat aus einer Verschiedenheit eine Gleichwertigkeit gemacht, weil er wusste, dass das Kind auf eine andere Weise versteht. Wenn es Verschiedenheiten unter uns gibt, dann versteht man auf andere Weise. Auch in der Schule, im Stadtviertel hat jeder seinen Reichtum, ist anders, ist es so, als ob er eine andere Sprache sprechen würde. Er ist anders, weil er sich auf andere Weise ausdrückt. Und diese Tatsache ist ein Reichtum. Was Serena gesagt hat, geschieht sehr oft. Es geschieht sehr häufig und es ist eines der schlimmsten Dinge, der schlimmsten Dinge in unseren Städten, in unserem Leben: die Diskriminierung.
Auch mit beleidigenden Worten. Man darf nicht diskriminiert werden. Jeder von uns hat eine Art und Weise, die Dinge zu kennen, die anders ist: einer kennt auf die eine Art, ein anderer auf eine andere Art, aber alle können Gott kennen. [Ein Mädchen nähert sich dem Papst…] Komm, komm… Sie ist mutig! Komm… Sie hat keine Angst, sie riskiert etwas. Sie weiß, dass die Verschiedenheit ein Reichtum ist. Sie riskiert etwas und hat uns eine Lehre erteilt. Sie wird nie diskriminiert werden, sie weiß sich allein zu verteidigen! Das ist es. Serena, ich weiß nicht, ob ich deine Frage beantwortet habe. In der Pfarrei, in der Messe, in den Sakramenten sind alle gleich, weil alle denselben Herrn haben: Jesus. Und dieselbe Mutter: die Muttergottes. Verstanden?
[Ein weiteres Mädchen nähert sich…] Komm, komm… Noch eine Mutige. Der Priester, der vorhin gesprochen hat, hat einige Fragen gestellt, die in Zusammenhang mit dem stehen, was Serena gesagt hat: Wie kann man alle aufnehmen? Aber wenn du… – das sage ich nicht zu dir, weil ich weiß, dass du alle annimmst –, stell dir einen Priester vor, der nicht alle annimmt. Welchen Rat würde ihm der Papst geben? »Schließ’ bitte die Türe der Kirche!« Entweder alle oder niemand. »Aber nein« – stellen wir uns jenen Priester vor, wie er sich verteidigt –, »aber nein, Pater, nein, so ist es nicht. Ich verstehe alle, aber ich kann nicht alle aufnehmen, weil nicht alle in der Lage sind zu verstehen…« – »Du bist es, der nicht in der Lage ist zu verstehen! « Was der Priester tun muss, unterstützt von den Laien, den Katecheten, von vielen, vielen Menschen, das ist: allen helfen, zu verstehen, den Glauben zu verstehen, die Liebe zu verstehen, zu verstehen, wie man Freunde sein kann, die Verschiedenheiten zu verstehen, zu verstehen, wie die Dinge einander ergänzen, einer kann eines geben und der andere etwas anderes.
Das bedeutet es, verstehen zu helfen. Und du hast zwei sehr schöne Worte gebraucht: annehmen und zuhören. Alle, alle annehmen, das heißt sie aufnehmen. Und allen zuhören. Ich sage euch etwas. Ich glaube, dass heute in der Pastoral der Kirche sehr viel Schönes getan wird, sehr viel Gutes: in der Katechese, in der Liturgie, in der Caritas, für die Kranken… sehr viel Gutes. Aber es gibt eine Sache, die man noch mehr tun muss, auch die Priester und auch die Laien, aber vor allem die Priester müssen da mehr tun: das Apostolat der Ohren, zuhören! »Aber Pater, es ist langweilig zuzuhören, es sind immer dieselben Geschichten, immer dasselbe…« – »Aber es sind nicht dieselben Menschen, und der Herr ist im Herzen von einem jeden dieser Menschen. Du musst die Geduld haben zuzuhören.« Annehmen und zuhören. Alle. Und ich denke, damit habe ich auf die Fragen geantwortet. Ich hatte eine Ansprache für euch vorbereitet, und der Präfekt [des Päpstlichen Hauses] wird sie übergeben, damit alle sie kennen. Denn eine Ansprache vorzulesen ist auch ein wenig langweilig… Und wenn jemand eine Ansprache vorliest, dann gibt es einen Moment, wo man mit einer gewissen Verstohlenheit beginnt, auf die Uhr zu schauen, wie um zu sagen: »Aber wann wird er aufhören zu sprechen?« Daher werdet ihr die Ansprache selbst lesen.
Ich danke euch sehr für diesen Dialog, für diesen Besuch, für diese Schönheit der Verschiedenheit, die Gemeinschaft stiftet: die eine gibt der anderen und umgekehrt, und alle bilden die Einheit der Kirche. Vielen Dank. Und betet für mich. [Ein Kind nähert sich.] Komm, komm auch du… Jetzt bleibt ganz ruhig sitzen und als gute Kinder wollen wir gemeinsam zur Mutter beten, zur Muttergottes. Alle gemeinsam beten wir zur Muttergottes. Gegrüßet seist du, Maria… [Segen] Und bitte betet für mich. Danke.
Vom Heiligen Vater vorbereitete Ansprache
Liebe Brüder und Schwestern!
Ich empfange euch anlässlich des 25. Jahrestags der Errichtung der »Abteilung für die Katechese bei Menschen mit Behinderung« des nationalen katechetischen Amtes in Italien. Dieser Jahrestag ist ein Ansporn, sich erneut um die vollständige Integrierung von Menschen mit Behinderung in die Pfarrgemeinden, Verbände und kirchlichen Bewegungen zu bemühen. Ich danke euch für die Fragen, die ihr an mich gerichtet habt und die eure Leidenschaft für diesen Bereich der Seelsorge zeigen. Er erfordert zweifache Aufmerksamkeit: das Bewusstsein um die Möglichkeit der Glaubenserziehung von Menschen mit – auch schwerer und schwerster – Behinderung; und den Willen, ihn als aktives Subjekt in der Gemeinschaft, in der er lebt, zu betrachten.
Diese Brüder und Schwestern sind – wie auch diese Tagung zeigt – nicht nur in der Lage, eine echte Erfahrung der Begegnung mit Christus zu leben, sondern sie können ihn auch den anderen bezeugen. In der Behindertenseelsorge ist viel getan worden. Wir müssen vorangehen, indem wir zum Beispiel ihre apostolische und missionarische Fähigkeit besser anerkennen, vor allem aber den Wert ihrer »Präsenz« als Personen, als lebendige Glieder des kirchlichen Leibes. In der Schwachheit und in der Gebrechlichkeit sind Schätze verborgen, die unsere christlichen Gemeinden erneuern können.
Gottlob sind in der Kirche eine weit verbreitete Aufmerksamkeit gegenüber der Behinderung in ihrer physischen, mentalen und sensorischen Form sowie eine allgemeine Annahmebereitschaft vorhanden. Dennoch tun sich unsere Gemeinden immer noch schwer, eine wahre Inklusion durchzuführen: eine volle Einbeziehung, die endlich gewöhnlich, normal wird. Und dazu bedarf es nicht nur besonderer Techniken und Programme, sondern vor allem der Anerkennung und Annahme der Gesichter, der beharrlichen und geduldigen Gewissheit, dass jeder Mensch einzigartig und unwiederholbar ist und jedes Gesicht, das ausgeschlossen wird, die Gemeinschaft ärmer werden lässt.
Auch in diesem Bereich ist die Einbindung der Familien entscheidend, die nicht nur angenommen, sondern auch angespornt und ermutigt werden wollen. Unsere christlichen Gemeinden müssen »Häuser« sein, in denen jedes Leiden Mit-Leiden findet, in dem jede Familie mit ihrer Last an Schmerz und Mühe sich verstanden und und in ihrer Würde geachtet fühlen kann. Im Apostolischen Schreiben Amoris laetitia habe ich gesagt, dass »die Aufmerksamkeit, die sowohl den Migranten als auch den Menschen mit Behinderungen geschenkt wird, ein Zeichen des Heiligen Geistes ist. Denn beide Situationen dienen gleichsam als Muster: In ihnen steht in besonderer Weise auf dem Spiel, wie heute die Logik der barmherzigen Aufnahme und der Integration der Schwachen gelebt wird« (Nr. 47).
Auf dem Weg zur Inklusion behinderter Menschen nimmt ihre Zulassung zu den Sakramenten natürlich einen entscheidenden Platz ein. Wenn wir die Besonderheit und die Schönheit ihrer Erfahrung von Christus und der Kirche anerkennen, dann müssen wir folglich in aller Deutlichkeit sagen, dass sie zur Fülle des sakramentalen Lebens berufen sind, auch bei Vorhandensein schwerer psychischer Störungen. Es ist traurig festzustellen, dass in manchen Fällen immer noch Zweifel, Widerstände und sogar Ablehnung vorhanden sind. Oft rechtfertigt man eine Ablehnung, indem man sagt: »Er versteht es ja doch nicht.« Oder: »Er braucht es nicht.« In Wirklichkeit zeigt man durch eine solche Haltung, dass man den Sinn der Sakramente nicht wirklich verstanden hat, und verweigert den behinderten Menschen in der Tat die Ausübung ihrer Gotteskindschaft und die volle Teilhabe an der kirchlichen Gemeinschaft.
Das Sakrament ist ein Geschenk, und die Liturgie ist Leben: Noch bevor sie rational verstanden wird, muss sie in der Besonderheit der persönlichen und kirchlichen Erfahrung gelebt werden. In diesem Sinne ist die christliche Gemeinschaft aufgerufen, sich dafür einzusetzen,
dass jeder Getaufte Christus in den Sakramenten erfahren kann. Daher muss die Gemeinde wirklich dafür sorgen, dass die behinderten Menschen erfahren können, dass Gott unser Vater ist und dass er uns liebt, dass er die Armen und die Kleinen besonders liebt durch die einfachen alltäglichen Liebesgesten, deren Empfänger sie sind. Im Allgemeinen Direktorium für die Katechese heißt es: »Die Liebe des Vaters zu diesen schwächsten Kindern und die ständige Gegenwart Jesu durch seinen Geist geben die Zuversicht, dass jeder Mensch, wie behindert er auch sein mag, an Heiligkeit zu wachsen vermag« (Nr. 189). Es ist wichtig, auch auf die Eingliederung und Einbeziehung behinderter Menschen in die liturgischen Versammlungen zu achten: In der Gemeinde zu sein und einen eigenen Beitrag zum liturgischen Handeln zu leisten durch Gesang und bedeutsame Gesten, trägt dazu bei, das Zugehörigkeitsgefühl eines jeden zu unterstützen.
Es geht darum, eine Denkweise und einen Stil wachsen zu lassen, der vor Vorurteilen, Ausschließung und Ausgrenzung schützt und eine echte Brüderlichkeit fördert, unter Achtung der Vielfalt, die als Wert geschätzt wird. Liebe Brüder und Schwestern, ich danke euch für alles, was ihr in den 25 Jahren eurer Tätigkeit getan habt, im Dienst von Gemeinden, die immer annahmebereiter und aufmerksamer gegenüber den Letzten sind. Geht beharrlich voran, mit Hilfe der allerseligsten Jungfrau Maria, unserer Mutter. Ich bete für euch und segne euch von Herzen. Und ich bitte auch euch, für mich zu beten.
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