JOHANNES PAUL II.
BOTSCHAFT AN DEN PRO-GRSSPÖNITENTIAR,
S. E. MSGR. LUIGI DE MAGISTRIS
An den Hochwürdigsten Bruder
Msgr. Luigi De Magistris
Pro-Großpönitentiar
1. Auch in diesem Jahr schenkt mir der Herr die Freude, mein Wort an dieses Dikasterium richten zu können. Ich grüße Sie, Hochwürdigster Bruder, sowie die Prälaten und Offizialen der Apostolischen Pönitentiarie und die Ordensmänner der verschiedenen Ordensfamilien, die den Beichtdienst in den Patriarchalbasiliken der Stadt Rom ausüben. Ich denke besonders an die jungen Priester und Priesteramtskandidaten, die am traditionellen Kurs über das »Forum internum« teilnehmen, der als kirchlicher Dienst von der Pönitentiarie angeboten wird.
Mein Wunsch ist, daß man diese Botschaft als Zeugnis der Hochschätzung versteht, die der Papst nicht nur der Funktion der Pönitentiarie, seiner Stellvertreterin in der ordentlichen Ausübung der Schlüsselgewalt, sondern auch der Mühe der Beichtväter entgegenbringt. Sie üben in direktem Kontakt mit dem Gewissen der einzelnen Pönitenten den Dienst der Versöhnung aus. Die Wertschätzung gilt auch den jungen Priestern und Priesteramtskandidaten, die sich auf das äußerst anspruchsvolle Amt des Beichtvaters vorbereiten.
2. Die Sendung des Priesters ist in den bekannten Worten des Apostels Paulus eindrucksvoll zusammengefaßt: »Wir sind also Gesandte an Christi Statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi Statt: Laßt euch mit Gott versöhnen!« (2 Kor 5, 20).
Bei dieser Gelegenheit möchte ich erneut einen Begriff aufgreifen, den ich bei der ersten Audienz für die Apostolische Pönitentiarie und die Beichtväter der Patriarchalbasiliken der Stadt Rom am 3. Januar 98 zum Ausdruck gebracht habe. Ich sagte damals, »daß das Bußsakrament … nicht nur ein unmittelbares Werkzeug zur Vernichtung der Sünde – also ein negatives Moment – ist, sondern eine wertvolle Tugendübung darstellt, nämlich die Versöhnung selbst, eine unersetzliche Schule des geistlichen Lebens, ein höchst positives Werk zur Erneuerung des ›vollkommenen Menschen‹ in der Seele, um ›Christus in seiner vollendeten Gestalt darzustellen‹ (vgl. Eph 4, 3)«. Ich möchte diese »positive«Wirksamkeit des Sakraments herausstellen und die Priester ermutigen, es persönlich als wertvolle Hilfe für den eigenen Weg der Heiligung in Anspruch zu nehmen und sich seiner auch als besonders geeignete Form der geistlichen Leitung zu bedienen.
Denn zur Heiligkeit und insbesondere zur priesterlichen Heiligkeit kann man konkret nur durch den regelmäßigen, demütigen und vertrauensvollen Empfang des Bußsakraments gelangen, verstanden als Mittel der Gnade; unerläßlich, wenn diese bedauerlicherweise aufgrund der Todsünde verlorengegangen ist, und von bevorzugter Bedeutung, wenn keine Todsünde vorliegt und die sakramentale Beichte deshalb das Sakrament der Lebendigen ist, das die Gnade nicht nur vermehrt, sondern die Tugenden kräftigt und die Neigungen besänftigen hilft, die durch die Ursünde geerbt und durch persönliche Sünden verstärkt wurden.
3. Unter den größten Geschenken, die uns durch die Feier des Heiligen Jahres 2000 vom Herrn zuteil wurden, nenne ich ein wiedererwachtes Bewußtsein in vielen Gläubigen für die entscheidende Rolle, die das Bußsakrament im christlichen Leben spielt, und eine ermutigende Zunahme der Anzahl derer, die es in Anspruch nehmen.
Gewiß kann der Herr in der christlichen Askese die Menschen in ihrem Innersten auf eine Weise führen, die die gewohnte sakramentale Vermittlung übersteigt. Das schließt aber die Notwendigkeit der Inanspruchnahme des Bußsakramentes nicht aus, ebensowenig die Unterordnung der Charismen unter die Verantwortlichkeit der Hierarchie. Dies geht aus dem bekannten Abschnitt des Ersten Briefes an die Korinther hervor, in dem der Apostel Paulus bekräftigt: »Quosdam quidem posuit Deus in ecclesia primum apostolos, secundo prophetas, tertio doctores …« usw. (vgl. 1 Kor 2, 28 –3 ). Im Text wird unter den verschiedenen institutionellen und charismatischen Aufgaben ganz klar eine hierarchische Ordnung in der Lebensstruktur der Kirche aufgestellt. Paulus bekräftigt diese Lehre im gesamten 4. Kapitel des Briefes und verkündet das Prinzip der Unterordnung der charismatischen Gaben unter seine Autorität als Apostel. Deshalb verwendet er auch, ohne zu zögern, die Form »ich will« und die Befehlsformen.
4. Aber es ist der Herr Jesus selbst, die Quelle aller Charismen, der die Unersetzbarkeit des Bußsakraments, das er den Aposteln und ihren Nachfolger übertragen hat, für das Gnadenleben feierlich bekräftigt: »Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert« (Joh 20, 22 –23).
Es entspricht deshalb nicht dem christlichen Glauben, wenn man die Vergebung der Sünden sozusagen auf einen privaten und individuellen Kontakt zwischen dem Gewissen des einzelnen Gläubigen und Gott verkürzen will. Gewiß, die Sünde wird nicht vergeben, wenn keine persönliche Reue vorhanden ist, aber die Vergebung ist in der aktuellen Ordnung der göttlichen Vorsehung der Erfüllung des positiven Willens Christi untergeordnet, denn er hat die Vergebung an den kirchlichen Dienst selbst oder zumindest an den ernsthaften Willen gebunden, diesen so bald wie möglich in Anspruch zu nehmen, wenn es im Augenblick keine Gelegenheit zur sakramentalen Beichte gibt.
Ebenso irrig ist die Überzeugung derjenigen, die zwar dem Bußsakrament einen positiven Wert beimessen, es aber als etwas Überflüssiges auslegen, weil die Vergebung des Herrn »semel pro semper« auf Golgota geschenkt wurde und die sakramentale Anwendung des göttlichen Erbarmens zur Wiedererlangung der Gnade nicht notwendig sei.
5. In gleicher Weise ist hervorzuheben, daß das Bußsakrament kein psychotherapeutischer Akt ist, sondern eine übernatürliche Wirklichkeit mit dem Ziel, im Herzen Gelassenheit und Frieden zu bewirken, die Früchte der Gnade sind. Sollten psychologische Mittel außerhalb des Sakraments für nützlich erachtet werden, dann können sie mit Vorsicht angeraten, aber nie aufgezwungen werden (vgl. dazu die Mahnung des Heiligen Uffiziums vom 15. Juli 196 , Nr. 4).
Bezüglich der besonderen Formen der Askese, zu der der Pönitent hinzuführen ist, kann der Beichtvater sich ihrer bedienen unter der Bedingung, daß sie nicht an philosophischen oder religiösen Auffassungen ausgerichtet sein dürfen, die der christlichen Wahrheit entgegenstehen. Dazu gehören zum Beispiel jene, die den Menschen auf ein Naturelement verkürzen, oder im Gegenteil, ihn zum Inhaber einer absoluten Freiheit erheben. Im letzteren Fall ist leicht eine neue Form von Pelagianismus zu erkennen.
6. Der Priester, Verwalter des Sakraments, wird diese Wahrheiten sowohl im Kontakt mit jedem einzelnen Pönitenten als auch in der den Gläubigen zu erteilenden Katechese gegenwärtig halten.
Augenscheinlich ist auch, daß die Priester als Empfänger des Bußsakraments berufen sind, diese Gewißheiten mit den betreffenden praktischen Ausrichtungen vor allem auf sich selbst anzuwenden. Das wird ihnen in der persönlichen Suche nach Heiligkeit wie auch im lebendigen und lebenskräftigen Apostolat helfen, das sie vor allem nach dem Beispiel ausüben sollen: »verba movent, exempla trahunt.«
Solche Kriterien mögen die Beichtväter und geistlichen Führer vorrangig leiten bei der Sorge um die Kandidaten zum Priesteramt und zum geweihten Leben. Das Bußsakrament ist das bevorzugte Mittel zur Entscheidungsfindung bei Berufungen. Denn um das Ziel des Priestertums zu erreichen, ist eine reife und gefestigte Tugend notwendig, die gewährleisten kann – soweit es »in humanis« möglich ist –, eine begründete Perspektive der Beharrlichkeit in der Zukunft sicherzustellen. Es ist wahr, daß der Herr, wie er es mit Saulus auf dem Weg nach Damaskus tat, einen Sünder augenblicklich in einen Heiligen verwandeln kann. Das gehört aber nicht zum gewohnten Weg der göttlichen Vorsehung. Wer die Verantwortung hat, einen Kandidaten zu ermächtigen, auf dem Weg zum Priestertum weiterzugehen, muß »hic et nunc«die Sicherheit seiner gegenwärtigen Eignung haben. Wenn das für jede Tugend und jeden moralischen Habitus gilt, ist klar, daß das noch mehr in bezug auf die Keuschheit erforderlich ist, weil der Kandidat, wenn er die Weihen empfängt, zum ständigen Zölibat verpflichtet ist.
7. Ich vertraue diese Überlegungen, die wir jetzt in eine dringende Bitte umwandeln, Jesus, dem Ewigen Hohenpriester, an. Die allerseligste Jungfrau, die Mutter der Kirche, möge bei ihrem Sohn darum bitten, daß er seiner Kirche heilige Pönitenten, heilige Priester, heilige Priesteramtskandidaten schenke.
Mit diesem Wunsch erteile ich allen den Apostolischen Segen.
Aus dem Vatikan, am 15. März 2002
IOANNES PAULUS II
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