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PASTORALBESUCH DER VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE VOLLVERSAMMLUNG DER VEREINTEN NATIONEN

New York, 2. Oktober 1979

 

Herr Präsident!

1. Dieser hohen Vollversammlung der Vereinten Nationen, bei der ich heute teilnehmen und das Wort ergreifen kann, möchte ich meinen Dank bekunden. Meine Anerkennung richtet sich an erster Stelle an den Generalsekretär der UNO, Herrn Dr. Kurt Waldheim, der mich schon im Herbst letzten Jahres — kurz nach meiner Wahl zum Nachfolger des hl. Petrus — zu diesem Besuch eingeladen und diese Einladung dann im vergangenen Mai bei unserer Begegnung in Rom erneuert hat. Von Anfang an sah ich dies als eine große Ehre an, der ich mich tief verpflichtet wußte. Heute nun, vor einer so bedeutenden Versammlung, möchte ich Ihnen, Herr Präsident, der Sie mich in so freundlicher Weise empfangen und mir das Wort erteilt haben, meinen herzlichen Dank aussprechen.

2. Das formale Motiv meiner heutigen Teilnahme ist zweifellos die besondere Art der Zusammenarbeit, die den Apostolischen Stuhl mit der Organisation der Vereinten Nationen verbindet, wie gerade die Anwesenheit der Ständigen Mission eines Beobachters des Hl. Stuhls bei dieser Organisation bezeugt. Diese Verbindung, der der HI. Stuhl große Beachtung schenkt, hat ihren inneren Grund in der Souveränität, die den Apostolischen Stuhl seit vielen Jahrhunderten auszeichnet. Diese ist zwar, was das entsprechende Territorium betrifft, auf den kleinen Vatikanstaat begrenzt; sie ist jedoch von der Notwendigkeit motiviert, daß die Päpste ihre Sendung in voller Freiheit ausüben und mit jedem möglichen Gesprächspartner, sei es eine Regierung oder eine internationale Organisation, unabhängig von jeder anderen Souveränität verhandeln können. Gewiß, das Wesen und die Ziele der besonderen geistlichen Mission des Apostolischen Stuhls und der Kirche bringen es mit sich, daß sich ihre Teilnahme an Aufgaben und Aktivitäten der UNO von der anderer Staaten als Gemeinschaften im politisch-weltlichen Sinne tief unterscheidet.

3. Der Hl. Stuhl hält nicht nur die eigene Zusammenarbeit mit der UNO für sehr wichtig, sondern hat auch seit der Gründung dieser Organisation immer seine eigene Wertschätzung und Zustimmung für die historische Bedeutung dieses obersten Forums des internationalen Lebens der heutigen Menschheit bekundet. Er hat auch stets ihre Funktionen und Initiativen unterstützt, die das friedliche Zusammenleben und gemeinsame Handeln unter den Nationen zum Ziel haben. Hierfür gibt es viele Beweise. In den mehr als 30 Jahren des Bestehens der UNO haben päpstliche Botschaften und Enzykliken sowie Dokumente des katholischen Episkopates und auch des Zweiten Vatikanischen Konzils ihr große Aufmerksamkeit geschenkt. Die Päpste Johannes XXIII. und Paul VI. schauten mit Vertrauen auf diese wichtige Institution als Zeichen unserer Zeit voller Bedeutung und Hoffnung. Und auch derjenige, der jetzt vor Ihnen spricht, hat seit den ersten Monaten seines Pontifikats mehrfach die gleiche Zuversicht und Überzeugung wie seine Vorgänger ausgedrückt.

4. Diese zuversichtliche Überzeugung des Apostolischen Stuhls erwächst, wie gesagt, nicht aus rein politischen Gründen, sondern gerade aus der religiösen, moralischen Natur der Sendung der römisch-katholischen Kirche. Als universale Gemeinschaft, die Gläubige aus fast allen Ländern und Kontinenten, Nationen, Völkern, Rassen, Sprachen und Kulturen umfaßt, ist diese wesentlich an der Existenz und Aktivität einer Organisation interessiert, die — wie wir schon ihrem Namen entnehmen können — Nationen und Staaten zusammenführt und vereint. Vereinen und zusammenführen, nicht trennen und Gegensätze fördern: so sucht die UNO Wege der Verständigung und der friedlichen Zusammenarbeit, indem sie mit den verfügbaren Mitteln und anwendbaren Methoden sich darum bemüht, Krieg, Spaltung und gegenseitige Zerstörung in dieser großen Familie, wie sie die heutige Menschheit darstellt, zu verhindern.

5. Dies ist das wahre Motiv, das wesentliche Motiv meiner Anwesenheit unter Ihnen, und ich möchte dieser hohen Versammlung meine Dankbarkeit bezeigen, daß sie diesem Motiv, das meinen Besuch vielleicht nützlich machen kann, ihre Beachtung geschenkt hat. Es ist sicher von besonderer Bedeutung, daß sich heute unter den Repräsentanten der Staaten, die auf der Souveränität einer Amtsvollmacht für ihr Territorium und ihre Bevölkerung beruhen, auch der Vertreter des Apostolischen Stuhls und der katholischen Kirche befindet. Es ist die Kirche Jesu Christi, der vor dem Tribunal des römischen Richters Pilatus erklärte, ein König zu sein, aber König eines Reiches, das nicht von dieser Welt ist (vgl. Joh 18,36–37). Auf die Frage nach dem inneren Grund seines Königreiches unter den Menschen gab er zur Antwort: »Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege« (Joh 18,37). Wenn ich also heute vor den Repräsentanten der Staaten stehe, dann möchte ich nicht nur meinen Dank, sondern auch meine ganz besondere Freude bekunden, da die Einladung an den Papst, in Ihrer Versammlung das Wort zu ergreifen, einen Beweis dafür darstellt, daß die Organisation der Vereinten Nationen die religiös-moralische Dimension jener menschlichen Probleme anerkennt und respektiert, um die sich die Kirche mit Hilfe ihrer Botschaft der Wahrheit und der Liebe, die sie der Welt nahebringen muß, kümmert. Ganz sicher ist es für die Fragen, die Gegenstand Ihrer Aufgaben und Bemühungen sind — wie der sehr umfangreiche und organische Komplex von Einrichtungen und Aktivitäten ausweist, die im Rahmen der UNO wirken oder mit ihr zusammenarbeiten, vor allem im Bereich von Kultur, Gesundheit, Ernährung und Arbeit sowie auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Atomenergie —, besonders wichtig, daß wir uns im Namen des Menschen begegnen, verstanden in seiner vollen Einheit, in der ganzen Fülle und dem vielfältigen Reichtum seiner geistigen und materiellen Existenz, wie ich es in meiner Enzyklika Redemptor Hominis, der ersten meines Pontifikats, dargelegt habe.  

6. So ergreife ich die Gelegenheit dieser feierlichen Begegnung mit den Repräsentanten der Nationen der Welt, um in diesem Augenblick einen Gruß an alle Männer und Frauen zu richten, die auf dieser Erde leben, an jeden Mann, an jede Frau ohne irgendeine Ausnahme. Jedes menschliche Wesen, das unseren Planeten bewohnt, ist ja Mitglied einer bürgerlichen Gemeinschaft, einer Nation, von denen hier viele vertreten sind. Jeder von Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, ist Repräsentant von einzelnen Staaten, von politischen Systemen und Strukturen, aber vor allem von bestimmten Gruppen von Menschen. Sie alle sind die Vertreter der Menschen, praktisch aller Menschen dieser Erde: konkreter Menschen. Gemeinschaften und Völker, die die gegenwärtige Phase ihrer Geschichte durchleben und zugleich in die Geschichte der ganzen Menschheit verwoben sind mit ihrer Individualität und der Würde der menschlichen Person, mit einer eigenen Kultur, mit persönlichen Erfahrungen und Sehnsüchten, Spannungen und Leiden, mit berechtigten Erwartungen. Von hier aus begründet sich jegliche politische Aktivität auf nationaler oder internationaler Ebene: letztlich kommt sie »vom Menschen her«, wird sie »durch den Menschen« ausgeübt, geschieht sie »für den Menschen«. Wenn jene Aktivität sich von dieser grundlegenden Beziehung und Sinnrichtung entfernt, wenn sie gewissermaßen sich selbst zum Ziel wird, dann verliert sie dadurch einen großen Teil ihrer Existenzberechtigung. Ja, sie kann sogar Quelle einer speziellen Entfremdung werden; sie kann sich vom Menschen völlig lösen; sie kann in Widerspruch geraten zur Menschlichkeit als solcher. In Wirklichkeit ist die Existenzberechtigung jeglicher Politik der Dienst am Menschen, ist die unermüdliche und verantwortliche Sorge um die Probleme und wesentlichen Bereiche seiner irdischen Existenz in ihrer sozialen Dimension und Tragweite, von der gleichzeitig ja auch das Wohl einer jeden einzelnen Person abhängt.

7. Ich bitte, mich zu entschuldigen, wenn ich von Dingen spreche, die Ihnen, sehr verehrte Damen und Herren, sicher ganz evident sind. Es scheint mir jedoch sinnvoll zu sein, darüber zu sprechen: denn was menschliche Aktivitäten oft in Gefahr bringt, ist doch die Möglichkeit, daß man bei ihrem Vollzug die deutlichsten Wahrheiten und die grundlegendsten Prinzipien aus dem Blick verliert.

Es sei mir daher der Wunsch erlaubt, daß die Organisation der Vereinten Nationen wegen ihres universellen Charakters niemals aufhören möge, jenes »Forum«, jene hohe Tribüne zu sein, von der aus alle Probleme des Menschen im Geist der Wahrheit und der Gerechtigkeit gewertet werden. Im Namen dieser Inspiration und durch diesen historischen Anstoß wurde am 26. Juni 1945, gegen Ende des furchtbaren Zweiten Weltkriegs, die Charta der Vereinten Nationen unterzeichnet, und es entstand am darauf folgenden 24. Oktober Ihre Organisation. Kurz danach entstand als ihr Grundgesetz die Allgemeine Erklärung über die Menschenrechte (am 10. Dezember 1948), über die Rechte des Menschen als eines konkreten Individuums wie auch in seiner universalen Bedeutung. Dieses Dokument ist ein Meilenstein auf dem langen und schwierigen Weg der Menschheit. Wir dürfen ja den menschlichen Fortschritt nicht nur am Fortschritt der Wissenschaft und Technik messen, der gewiß die Ausnahmestellung des Menschen im Verhältnis zur Natur sichtbar macht, sondern gleichzeitig und mehr noch am Primat der geistigen Werte und am Fortschritt des moralischen Lebens.

Gerade in diesem Bereich zeigt sich die volle Herrschaft des menschlichen Geistes mit Hilfe der Wahrheit im Verhalten der Person und der Gesellschaft sowie auch in der Herrschaft über die Natur; hier setzt sich die stille Macht des geistigen Bewußtseins des Menschen durch nach dem alten Ausspruch: »Das Menschengeschlecht lebt aus der praktischen und theoretischen Vernunft« (Genus humanum arte et ratione vivit). Gerade damals, als die Technik in ihrem einseitigen Fortschritt auf kriegerische Zwecke hingelenkt wurde, auf Versuche, eine Hegemonie zu erlangen oder Eroberungen zu machen, wobei der Mensch den Menschen töten und eine Nation die andere zerstören sollte, indem sie sie der Freiheit oder sogar des Existenzrechtes beraubte — ich habe dabei immer das Bild des Zweiten Weltkriegs in Europa vor Augen, wie er vor rund 40 Jahren, am 1. September 1939, mit der Invasion Polens begann und am 9. Mai 1945 beendet wurde —, ist die Organisation der Vereinten Nationen entstanden. Und drei Jahre danach wurde das Dokument geschaffen, das, wie gesagt, als wahrer Meilenstein auf dem Weg des moralischen Fortschritts der Menschheit angesehen werden muß: die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Die Regierungen und Staaten der Welt haben begriffen, daß sie sich zusammenschließen müssen, wenn sie sich nicht gegenseitig angreifen und zerstören wollen. Der wahre Weg zu dieser Einheit, der grundlegende Weg, führt an jedem einzelnen Menschen vorbei: durch die Festlegung, die Anerkennung und Achtung der unveräußerlichen Rechte der Personen und Völkergemeinschaften.

8. Heute, 40 Jahre nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, möchte ich all das viele in Erinnerung rufen, das die Menschen und Nationen in jenen Jahren durchgemacht haben, eine Generation, die zum großen Teil heute noch lebt. Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, über einige dieser Erfahrungen noch einmal nachzudenken, und zwar an einem der Orte, wo die Verachtung für den Menschen und seine Grundrechte in einem besonders schmerzlichen und übergroßen Ausmaß zu Tage getreten ist: im Konzentrationslager von Auschwitz (Os´wiecim), das ich während meiner Pilgerfahrt nach Polen im vergangenen Juni besucht habe. Dieser Ort mit seiner so traurigen Berühmtheit ist leider nur einer von vielen auf dem europäischen Kontinent. Schon die Erinnerung an einen einzigen davon müßte auf den Straßen der heutigen Menschheit ein Mahnmal dafür sein, jegliche Art von Konzentrationslager an jeder Stelle dieser Erde ein für allemal zu beseitigen. Für immer müßte aus dem Leben der Nationen und der Staaten all das verschwinden, was mit diesen fürchterlichen Erfahrungen in Verbindung steht, was ihre Fortsetzung darstellt – auch unter anderen Formen, also jegliche Art von physischer oder moralischer Tortur und Unterdrückung, gleich von welchem politischen System verübt oder in welchem Lande begangen –‚ ein um so schmerzlicheres Handeln, wenn es unter dem Vorwand der »inneren Sicherheit« oder der Notwendigkeit, einen scheinbaren Frieden zu erhalten, geschieht.

9. Die verehrten Anwesenden mögen mir diese Erinnerung verzeihen: aber ich wäre der Geschichte unseres Jahrhunderts untreu, ich wäre nicht ehrlich vor der großen Sache des Menschen, der wir doch alle dienen möchten, wenn ich darüber schweigen würde, da ich doch jenem Land entstamme, auf dessen lebendigem Leib einmal »ein Auschwitz« erbaut worden ist. Der Sinn meiner Erinnerung, sehr verehrte Damen und Herren, ist allerdings, vor allem aufzuzeigen, aus welchen schmerzlichen Erlebnissen und Leiden von Millionen von Personen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als Anfangsimpuls und Meilenstein für die Organisation der Vereinten Nationen entstanden ist. Der Preis dieser Erklärung sind Millionen unserer Brüder und Schwestern, die dafür mit ihrem eigenen Leiden und Opfer bezahlt haben, wie sie ihnen von einer Menschenverachtung zugefügt worden sind, die die Gewissen ihrer Unterdrücker, Ingenieure eines wahren Völkermordes, betäubt und abgestumpft hatte.

Dieser Preis darf nicht umsonst bezahlt worden sein! Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte — ergänzt durch zahlreiche weitere Erklärungen und Konventionen über sehr wichtige Bereiche der Menschenrechte, so zugunsten des Kindes, der Frau, der Rassengleichheit wie auch besonders durch die zwei internationalen Verträge über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und über bürgerliche und politische Rechte — muß für die Organisation der Vereintem Nationen der Grundwert bleiben, an dem sich das Gewissen ihrer Mitglieder ausrichten sollte und woraus sie sich ständig neue Anregung holen müßten. Wenn die Wahrheiten und Prinzipien, die in diesem Dokument enthalten sind, vergessen und übergangen würden und dabei die anfängliche Evidenz verlieren sollten, mit der sie im Augenblick der schmerzhaften Geburt aufleuchteten, dann könnte die hohe Zielsetzung der Organisation der Vereinten Nationen von einer neuen Zerstörung bedroht sein. So weit könnte es kommen, wenn über die einfache und zugleich eindringliche Sprache der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ein gewisses Interesse endgültig die Oberhand gewänne, das man zu Unrecht als »politisch« ausgibt, hingegen oft nur Gewinn und einseitigen Profit zu Lasten von anderen bedeutet oder Machtwillen, dem die Interessen anderer gleichgültig sind, alles das also, was von seinem Wesen her dem Geist der Erklärung widerspricht. Das so verstandene »politische Interesse«, die Herren mögen mir verzeihen, entehrt die hohe und schwierige Mission, die zu Ihrem Dienst für das Wohl Ihrer Nationen und der ganzen Menschheit gehört.

10. Vor 14 Jahren sprach von dieser Tribüne mein großer Vorgänger Papst Paul VI. Er hat damals einige unvergesseneWorte ausgesprochen, die ich heute wiederholen möchte:

»Niemals wieder Krieg, niemals! Niemals wieder die einen gegen die anderen« und auch nicht »der eine über den anderen«, sondern immer und in jedem Fall »die einen mit den anderen«.

Paul VI. hat der Sache des Friedens unermüdlich gedient. Auch ich will mit all meinen Kräften ihm darin nachfolgen und diesen seinen Dienst fortsetzen. Die katholische Kirche verkündet an allen Orten der Erde eine Botschaft des Friedens, sie betet für den Frieden und erzieht den Menschen zum Frieden. An dieser Zielsetzung nehmen in engagierter Weise auch die Vertreter und Anhänger anderer Kirchen und Gemeinschaften sowie anderer Religionen der Welt teil. Und diese Arbeit, verbunden mit den Anstrengungen aller Menschen guten Willens, bringt sicher ihre Früchte. Allerdings beunruhigen uns immer wieder die kriegerischen Konflikte, die von Zeit zu Zeit ausbrechen. Wie sehr müssen wir dem Herrn danken, wenn es durch direkten Einsatz gelingt, den einen oder anderen abzuwenden, wie zum Beispiel die Spannung, die im vergangenen Jahr Argentinien und Chile bedrohte. Wie sehr wünschte ich mir, daß man auch in der Krise des Nahen Ostens einer Lösung näherkäme. Während ich bereit bin, jeden Schritt oder konkreten Versuch zur Beilegung des Konflikts zu würdigen, möchte ich doch daran erinnern, daß solche Schritte wertlos bleiben, wenn sie nicht wirklich den Grundstein für eine allgemeine und umfassende Friedenslösung in der Region darstellen für einen Frieden, der sich unbedingt auf die gleiche Anerkennung der Rechte aller gründen und dabei notwendigerweise die Beachtung und gerechte Lösung des Problems der Palästinenser einschließen muß. Hiermit ist auch das Problem des friedlichen Zusammenlebens, der Unabhängigkeit und territorialen Integrität des Libanons verbunden nach der Art, durch die er ein Beispiel für eine friedliche und gegenseitig fruchtbare Koexistenz der einzelnen Gemeinschaften geworden ist und die, wie zu wünschen wäre, im gemeinsamen Interesse beibehalten werden sollte, wenn auch mit den Anpassungen, die von der Entwicklung der Situation gefordert sind. Ich wünschte mir auch ein besonderes Statut, das unter internationalen Garantien (wie schon mein Vorgänger Paul VI. bei Gelegenheit angeregt hat) den Respekt vor der einzigartigen Natur Jerusalems sichern soll, eines Patrimoniums, das der Verehrung von Millionen von Gläubigen der drei großen monotheistischen Religionen, des Judentums, des Christentums und des Islams, heilig ist.

Ebenso beunruhigen uns die Informationen über die Entwicklung der Rüstungen, die alles übersteigen, was bisher an Mitteln und Auswirkungen von Kampf und Zerstörung bekannt war. Auch von hier aus ermutigen wir die Entscheidungen und Abkommen, die den Rüstungswettlauf zu bremsen versuchen. Die Drohung einer Zerstörung, das Risiko, das sogar von der Übernahme gewisser »einschläfernder« Informationen ausgeht, lasten jedoch weiterhin schwer auf dem Leben der heutigen Menschheit. Auch der Widerstand gegenüber konkreten, praktischen Vorschlägen einer wirklichen Abrüstung — wie jene, die diese Versammlung im vergangenen Jahr auf einer Sondersitzung gemacht hat — beweist, daß es zusammen mit dem Friedenswillen, den alle erklären und die meisten wünschen, zugleich vielleicht verborgen oder nur hypothetisch, aber doch wirklich auch dessen Gegenteil und sogar seine Verneinung gibt. Die fortwährenden Vorbereitungen zum Krieg, auf die die Produktion von immer zahlreicheren, von immer stärkeren und komplizierteren Waffen in verschiedenen Ländern hindeutet, zeigen, daß man zum Krieg bereit sein will, und bereit sein bedeutet in der Lage sein, ihn auch zu provozieren, bedeutet auch, das Risiko auf sich zu nehmen, daß in irgendeinem Augenblick, irgendwo, in irgendeiner Weise jemand den fürchterlichen Mechanismus einer allgemeinen Zerstörung in Bewegung setzen könnte.

11. Darum ist eine ständige und sogar noch energischere Anstrengung notwendig, die darauf abzielt, schon die Möglichkeiten, einen Krieg zu provozieren, zu beseitigen, um solche Katastrophen unmöglich zu machen. Dabei geht es darum, auf die Haltungen und Überzeugungen, auf die Absichten und Interessen der Regierungen und Völker einzuwirken. Diese Aufgabe, die der Organisation der Vereinten Nationen und allen ihren einzelnen Organen immer gegenwärtig ist, betrifft jede Gesellschaft, jedes Regime, jede Regierung. Sicher trägt hierzu jede Initiative bei, die ein internationales Zusammenwirken bei der Entwicklungsarbeit zum Ziel hat. So hat es ja Paul VI. am Ende seiner Enzyklika Populorum Progressio formuliert: »Wenn Entwicklung der neue Name für Friede ist, wer möchte dann nicht mit all seinen Kräften daran mitwirken?« Diesem Ziel muß jedoch auch ein stetiges überlegtes Handeln dienen, das danach strebt, die Wurzeln selbst für Haß, Zerstörung und Verachtung freizulegen und für all das, was die Versuchung zum Krieg entstehen läßt: nicht nur im Inneren der Nationen, sondern auch im Kern der politischen Systeme, die für die Geschichte ganzer Gesellschaften verantwortlich sind. Bei diesem fast übermenschlichen Werk, der wirklichen Errichtung einer friedvollen Zukunft unseres Planeten, hat die Organisation der Vereinten Nationen zweifellos eine zentrale, führende Aufgabe, für die sie sich zu Recht auf die trefflichen Ideale in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bezieht. Diese Erklärung hat den Krieg wirklich an seiner weitverzweigten, tiefreichenden Wurzel getroffen; denn die Kriegslust in ihrer ursprünglichen, grundlegenden Bedeutung keimt und reift dort, wo die unveräußerlichen Menschenrechte verletzt werden.

Das ist eine neue Sicht der Sache des Friedens, zutiefst aktuell und zugleich wesentlicher und radikaler. Es ist eine Sicht, die das Entstehen des Krieges und in gewissem Sinne auch seine Substanz in allen möglichen Formen der Ungerechtigkeit unter allen ihren verschiedenen Aspekten erblickt; diese greift ja zunächst die Menschenrechte an, hierdurch zerreißt sie die organische Einheit der sozialen Ordnung und erschüttert schließlich das gesamte System der internationalen Beziehungen. Die Enzyklika Papst Johannes’ XXIII., Pacem in Terris, bringt hierzu eine synthetische Beurteilung aus dem Gedankengut der Kirche, die den ideellen Fundamenten der Organisation der Vereinten Nationen sehr nahekommt. Man muß sich also konsequenterweise hierauf stützen, hartnäckig und treu hieran festhalten, um den wahren »Frieden auf Erden« zu festigen.

12. Unter Anwendung dieses Prinzips müssen wir sorgfältig prüfen, welche hauptsächlichen Spannungen im Bereich der unveräußerlichen Menschenrechte das Gebäude dieses Friedens erschüttern könnten, den wir alle so heiß ersehnen und der auch das wesentliche Ziel der Bemühungen der Organisation der Vereinten Nationen bildet. Das ist nicht leicht, aber unumgänglich. Bei diesem Vorhaben muß sich jeder in eine völlig objektive Stellung bringen, sich von der Aufrichtigkeit führen lassen und von der Bereitschaft, die eigenen Vorurteile und Irrtümer anzuerkennen, ja sogar einverstanden zu sein, auf partikuläre Interessen auch politischer Art zu verzichten. Der Friede ist nun einmal ein höheres und wichtigeres Gut als jedes Einzelinteresse. Wenn wir diese Interessen der Sache des Friedens opfern, dienen wir ihr in vollkommener Weise. In wessen »politischem Interesse« könnte je ein neuer Krieg liegen?

13. Jede Analyse muß notwendigerweise von den gleichen Prämissen ausgehen: daß nämlich jedes menschliche Wesen eine Würde besitzt, die niemals – auch wenn die Person jeweils in einem konkreten sozialen und geschichtlichen Kontext lebt — herabgesetzt, verletzt oder zerstört werden darf, sondern die im Gegenteil geachtet und geschützt werden muß, falls man wirklich den Frieden aufbauen will.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die juridischen Hilfen auf internationaler wie nationaler Ebene versuchen durch eine Bewegung, deren kontinuierlichen Fortschritt man sich nur wünschen kann, ein allgemeines Bewußtsein für die Würde des Menschen zu wecken und wenigstens einige der unveräußerlichen Rechte des Menschen zu definieren. Es sei mir gestattet, einige unter den wichtigsten und allgemein anerkannten hier aufzuzählen: das Recht auf Leben und Freiheit und auf die Sicherheit der Person; das Recht auf Nahrung, Kleidung und Wohnung, auf Gesundheit, Erholung und Freizeit; das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Erziehung und Kultur; das Recht auf Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Religion sowie das Recht, seine Religion privat und in der Öffentlichkeit, für sich allein oder in Gemeinschaft zu bekennen; das Recht, seinen Lebensstand zu wählen, eine Familie zu gründen und alle notwendigen Voraussetzungen für ein Familienleben zu haben; das Recht auf Eigentum und auf Arbeit, auf angemessene Arbeitsbedingungen und einen gerechten Lohn; das Recht auf Versammlung und Zusammenschluß; das Recht auf Freizügigkeit im Ortswechsel im In- und Ausland; das Recht auf Staatsbürgerschaft und auf Wohnsitz; das Recht auf politische Mitbestimmung und das Recht auf Teilnahme an der freien Wahl des politischen Systems des Volkes, dem man angehört. Das Gesamt der Menschenrechte entspricht der Substanz der Menschenwürde in ihrem umfassenden Verständnis und nicht in einer Beschränkung auf nur eine einzige Dimension. Sie beziehen sich auf die Befriedigung der wesentlichen Bedürfnisse des Menschen, auf die Ausübung seiner Freiheit, auf seine Beziehung zu anderen Personen. Aber immer und überall sind sie auf den Menschen bezogen, auf seine volle Wirklichkeit als menschliches Wesen.

14. Der Mensch lebt gleichzeitig in der Welt der materiellen Werte wie in jener der geistigen Werte. Für den konkreten Menschen, der lebt und hofft, entsprechen die Bedürfnisse, die Freiheiten, die Beziehungen mit anderen niemals allein nur der einen oder der anderen Wertsphäre, sondern gehören immer beiden Sphären an. Dabei ist es durchaus legitim, die materiellen und die geistigen Werte jeweils getrennt zu betrachten, um besser zu verstehen, daß sich diese im konkreten Menschen nicht trennen lassen, und um andererseits zu sehen, daß jede Bedrohung der Menschenrechte, sei es im Bereich der materiellen, sei es im Bereich der geistigen Werte, gleich gefährlich für den Frieden ist, weil dieser sich immer auf den Menschen in seiner Ganzheit bezieht.

Meine verehrten Zuhörer mögen mir erlauben, auf eine konstante Regel der Menschheitsgeschichte hinzuweisen, die schon in all dem enthalten war, was in bezug auf die Menschenrechte und eine integrale Entwicklung des Menschen in Erinnerung gerufen worden ist. Diese Regel beruht auf der Beziehung zwischen den geistigen und den materiellen oder ökonomischen Werten. Innerhalb dieser Beziehung kommt der Vorrang den geistigen Werten zu, schon aufgrund der Natur dieser Werte wie auch aus Gründen, die das Wohl des Menschen betreffen. Der Vorrang der Geisteswerte bestimmt die besondere Bedeutung der irdischen und materiellen Güter sowie die Art ihres Gebrauchs, und gerade dadurch gehört er zur Grundlage eines gerechten Friedens. Dieser Vorrang der geistigen Werte hat auch seinen Einfluß darauf, daß die materielle, technische und zivilisatorische Entwicklung wirklich dem dient, was den Menschen ausmacht, das heißt, daß sie den vollen Zugang zur Wahrheit, zur moralischen Entwicklung und zum Genuß der Kulturgüter ermöglicht, die wir ererbt haben, sowie zur Vermehrung dieser Güter durch unsere schöpferische Kraft. Nun aber ist es nicht schwer, festzustellen, daß die materiellen Güter nur in begrenztem Maße fähig sind, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen; von ihrer Natur her ist es schwer, sie gerecht zu verteilen, und so provozieren sie in den Beziehungen zwischen denen, die sie besitzen oder daran teilhaben, und denen, die nichts davon haben, Spannungen, Streitigkeiten und Spaltungen, die nicht selten zum offenen Kampf werden können. Die geistigen Güter jedoch können zur gleichen Zeit vielen zur Verfügung stehen, unbegrenzt und ohne Verringerung des Wertes selbst. Im Gegenteil, je mehr Menschen an einem solchen Gut teilhaben, um so größer ist die Freude und Anteilnahme daran, um so mehr beweist dieses Gut dadurch seinen unzerstörbaren, ewigen Wert. Dies ist eine Wirklichkeit, die zum Beispiel durch die Werke des freien Schaffens, des Denkens, der Poesie, der Musik und der darstellenden Künste, die Früchte des menschlichen Geistes, bestätigt wird.

15. Eine kritische Analyse unserer heutigen Zivilisation ergibt, daß diese vor allem im letzten Jahrhundert wie nie zuvor zur Entwicklung der materiellen Güter beigetragen, aber auch in der Theorie und mehr noch in der Praxis eine Reihe von Haltungen hervorgebracht hat, bei denen in mehr oder weniger starkem Maße die Sensibilität für die geistige Dimension der menschlichen Existenz abgenommen hat. Die Ursache hierfür sind gewisse Voraussetzungen, durch die der Sinn des menschlichen Lebens vorwiegend auf die vielfältigen, materiellen und ökonomischen Bedingungen bezogen worden ist, das heißt auf die Erfordernisse der Produktion, des Handels, des Konsums, der Anhäufung von Reichtümern oder der Bürokratisierung, mit der man die entsprechenden Prozesse zu regulieren sucht. Ist sie nicht auch das Ergebnis davon, daß man den Menschen einer einzigen Betrachtungsweise und nur einer Wertsphäre untergeordnet hat?

16. Was haben diese Überlegungen mit der Sache des Friedens und des Krieges zu tun? Weil die materiellen Güter, wie ich schon vorhin gesagt habe, von ihrer Natur her Anlaß zu Einschränkungen und Spaltungen geben, wird der Kampf um ihren Erwerb in der Menschheitsgeschichte unvermeidlich. Wenn wir diese einseitige Unterordnung des Menschen unter die materiellen Güter immer noch weiterpflegen, werden wir nicht imstande sein, diesen Zwangszustand zu überwinden. Wir könnten ihn mildern, ihn im Einzelfalle entschärfen, aber es wird uns nicht gelingen, ihn grundsätzlich und völlig zu beseitigen, wenn wir nicht den zweiten Wertbereich stärker ins Licht rücken und ihm vor den Augen eines jeden Menschen und aller Gesellschaften zu breiterer Anerkennung verhelfen: jener Wertbereich, der die Menschen nicht spaltet, sondern sie untereinander in Kontakt bringt, zusammenführt und einigt.

Ich bin der Meinung, daß die berühmte Präambel der Charta der Vereinten Nationen – in der die beteiligten Völker, »entschlossen, die kommenden Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren«, feierlich den Glauben bekräftigen »an die Grundrechte des Menschen, an die Würde und den Wert der menschlichen Person, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von großen und kleinen Nationen« – jenen geistigen Wertbereich in den Vordergrund rücken will.

Man kann in der Tat die Kriegskeime nicht in einer nur oberflächlichen Weise, an den Symptomen, bekämpfen. Man muß es auf gründliche Weise tun und zu den Ursachen vorstoßen. Wenn ich mir eben erlaubt habe, die Aufmerksamkeit auf die geistigen Güter zu lenken, dann habe ich dies getan in der Sorge um die Sache des Friedens, der dadurch geschaffen wird, daß man die Menschen um jene Werte zusammenruft, die in höchstem Grade und zutiefst menschlich sind, die die Menschen über ihre Umwelt hinausheben und über ihre unzerstörbare Größe entscheiden: unzerstörbar trotz des Todes, dem jeder auf dieser Erde unterworfen ist. Ich möchte hinzufügen, daß die katholische Kirche und — wie ich glaube, sagen zu können — die gesamte Christenheit gerade in diesem Bereich ihre besondere Aufgabe erblicken. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dazu beigetragen, festzustellen, was der christliche Glaube bei diesem Anliegen gemeinsam hat mit den verschiedenen nichtchristlichen Religionen. Die Kirche ist deshalb all denen dankbar, die sich dieser ihrer Mission gegenüber respektvoll und wohlwollend verhalten und sie nicht behindern oder erschweren. Die Analyse der Menschengeschichte, insbesondere in ihrer gegenwärtigen Epoche, zeigt, wie sehr wir verpflichtet sind, die Tragweite jener Güter noch vollständiger darzulegen, wie wichtig diese Aufgabe für den Aufbau des Friedens ist und wie schwer jede Bedrohung der Menschenrechte wiegt. Ihre Verletzung, auch in Zeiten »des Friedens«, ist eine Form des Krieges gegen den Menschen. Es gibt anscheinend in der heutigen Welt zwei hauptsächliche Bedrohungen, die beide die Menschenrechte im Bereich der internationalen Beziehungen und im Innern der einzelnen Staaten oder Gesellschaften betreffen.

17. Die erste Art einer systematischen Bedrohung der Menschenrechte hängt, ganz allgemein gesprochen, mit der Verteilung der materiellen Güter zusammen, die sowohl innerhalb der einzelnen Gesellschaften wie auch auf Weltebene oft ungerecht ist. Es ist bekannt, daß diese Güter dem Menschen nicht nur als Reichtum der Natur gegeben sind, sondern ihm in noch größerem Maße zur Verfügung stehen als Ergebnis seiner vielfältigen Aktivität, angefangen bei der einfachsten Handarbeit bis zu den komplizierteren Formen industrieller Produktion sowie den Forschungen und Studien in höchst qualifizierten Spezialbetrieben. Verschiedene Formen der Ungleichheit im Besitz von materiellen Gütern und in ihrer Nutzung erklären sich oft aus verschiedenen Ursachen und Umständen geschichtlicher und kultureller Art. Wenn solche Umstände auch die moralische Verantwortung der Zeitgenossen verringern können, so schließen sie doch nicht aus, daß jene Situationen der Ungleichheit das Zeichen der Ungerechtigkeit und des sozialen Schadens an sich tragen.

Wir müssen uns deshalb bewußt werden, daß die ökonomischen Spannungen, die in den einzelnen Ländern oder zwischen den Staaten oder sogar zwischen ganzen Kontinenten bestehen, in sich selbst wesentliche Elemente enthalten, die die Menschenrechte einschränken oder verletzen: so zum Beispiel die Ausbeutung der Arbeitskraft und der vielfältige Mißbrauch der Menschenwürde. Daraus folgt, daß das grundlegende Kriterium für einen Vergleich zwischen den sozialen, ökonomischen und politischen Systemen nicht das der beherrschenden Macht ist und sein darf, sondern das des menschlichen Wertes sein kann und muß, das heißt das Maß, in dem jedes von ihnen wirklich imstande ist, die verschiedenen Formen einer Ausbeutung des Menschen möglichst zu verringern, zu mildern und zu beseitigen und dem Menschen durch seine Arbeit nicht nur die gerechte Verteilung der unerläßlichen materiellen Güter zu sichern, sondern auch eine seiner Würde entsprechende Teilnahme am ganzen Produktionsprozeß und am gesellschaftlichen Leben selbst, das sich in Verbindung mit diesem Prozeß entfaltet. Wir dürfen nicht vergessen, daß der Mensch, wie sehr er auch zum Überleben von den Vorräten der materiellen Welt abhängt, doch nicht ihr Sklave sein darf, sondern ihr Herr. Die Worte aus dem Buch Genesis: »Bevölkert die Erde, unterwerft sie euch« (Gen 1,28), bilden in einem gewissen Sinn eine erstrangige, wesentliche Leitlinie für das Gebiet der Ökonomie und der Arbeitspolitik.

18. Gewiß haben in diesem Bereich die ganze Menschheit und die einzelnen Nationen im letzten Jahrhundert einen beachtlichen Fortschritt gemacht. Aber immer wieder gibt es auf diesem Gebiet systematische Bedrohungen und Verletzungen der Menschenrechte. Als Unruheherde bestehen oft weiterhin die schrecklichen Ungleichheiten zwischen Menschen und Gruppen in übertriebenem Reichtum auf der einen Seite und der zahlenmäßigen Mehrheit der Armen oder sogar der Verelendeten auf der anderen Seite, die ohne Nahrung, ohne Arbeitsplatz und Schule in großer Zahl zu Hunger und Krankheit verurteilt sind. Eine gewisse Besorgnis ruft aber auch hervor, daß manchmal die Arbeit radikal vom Eigentum getrennt ist und der Mensch seiner Arbeitsstätte gleichgültig gegenübersteht, weil ihn nur ein Arbeitsvertrag mit ihr verbindet, ohne die Überzeugung, für ein Gut zu arbeiten, das ihm gehören wird oder für ihn bestimmt ist.

Es ist allgemein bekannt, daß der Graben zwischen der übertrieben reichen Minderheit und der großen Menge der Armen ein sehr schwerwiegendes Krankheitssymptom im Leben jeder Gesellschaft darstellt. Das gleiche muß man mit noch stärkerem Nachdruck von dem Graben sagen, der einzelne Länder und Regionen der Erde trennt. Gibt es einen anderen Weg, diese schwere Ungleichheit, die Bereiche der Übersättigung den Bereichen des Hungers und der Schwäche gegenübersetzt, zu überwinden als durch eine planvolle Zusammenarbeit aller Nationen? Hierzu ist vor allem eine Einheit nötig, die sich an echter Friedensbereitschaft inspiriert. Alles aber wird abhängen davon, ob diese Unterschiede und Kontraste im Bereich des »Besitzens von Gütern« systematisch und mit wirklich durchgreifenden Mitteln verringert werden, ob von der ökonomischen Weltkarte die Zonen des Hungers, der Unterernährung, der Verelendung, der Unterentwicklung, der Krankheit und des Analphabetismus verschwinden werden und ob die friedliche Zusammenarbeit nicht neue Bedingungen der Ausbeutung, der ökonomischen und politischen Abhängigkeit bringen wird, die nur eine neue Form des Kolonialismus wären.

19. Nun möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die zweite Art einer systematischen Bedrohung richten, von der in der heutigen Welt der Mensch in seinen unantastbaren Rechten betroffen ist und die nicht weniger als die erste eine Gefahr für die Sache des Friedens darstellt: gemeint sind die verschiedenen Formen von Ungerechtigkeit im geistigen Bereich.

Man kann den Menschen tatsächlich auch in seiner inneren Beziehung zur Wahrheit verletzen, in seinem Gewissen, in seinen persönlichsten Überzeugungen, in seiner Weltanschauung, in seinem religiösen Glauben wie auch im Bereich der sogenannten bürgerlichen Freiheiten, für die die Gleichheit der Rechte entscheidend ist, ohne Diskrimination aufgrund von Abstammung, Rasse, Geschlecht, Nationalität, Konfession, politischer Überzeugung u.a. Gleichheit der Rechte meint den Ausschluß der verschiedenen Formen einer Privilegierung der einen und der Diskriminierung der anderen, seien es Personen, die derselben Nation entstammen, seien es Menschen mit verschiedener Geschichte, Nationalität, Rasse oder Überzeugung. Der zivilisatorische Fortschritt drängt seit Jahrhunderten in diese Richtung: dem Leben der einzelnen politischen Gesellschaften eine Form zu geben, in der die objektiven Rechte des Geistes, des menschlichen Gewissens und seiner Kreativität, eingeschlossen seine Beziehung zu Gott, voll garantiert werden können. Und doch sind wir immer noch Zeugen von Bedrohungen und Verletzungen, die in diesem Bereich wiederkehren, oft ohne die Möglichkeit eines Rekurses bei höheren Instanzen oder wirksamer Gegenmaßnahmen.

Zusammen mit der Annahme von rechtlichen Formeln, die im Prinzip die Freiheiten des menschlichen Geistes, wie z. B. die Gedankenfreiheit, das freie Wort, die Religionsfreiheit und die Gewissensfreiheit, garantieren, existiert oft eine Struktur des gesellschaftlichen Lebens, in der die Ausübung dieser Freiheiten den Menschen dazu verurteilt, wenn nicht im formalen Sinne, so doch de facto ein Bürger zweiter oder dritter Klasse zu werden, die eigenen Möglichkeiten eines gesellschaftlichen Aufstiegs, des beruflichen Weiterkommens oder des Zugangs zu bestimmten leitenden Stellen beeinträchtigt zu sehen, ja sogar die Möglichkeit zur freien Erziehung der eigenen Kinder zu verlieren. Es ist eine Frage von größter Wichtigkeit, daß im innerstaatlichen wie auch im internationalen gesellschaftlichen Leben alle Menschen aus jeder Nation und aus jedem Land, unter jedem Regime und politischen System ihre Rechte in ganzer Fülle und bis in die Praxis hinein genießen können.

Nur wenn jedem Menschen ohne Diskriminierung ein solch volles, effektives Recht garantiert ist, ist auch der Friede an seinen Wurzeln gesichert.

20. Was die Religionsfreiheit betrifft, die mir als Papst in besonderer Weise am Herzen liegen muß, gerade auch in ihrer Beziehung zum Schutz des Friedens, so möchte ich hier als ideellen Beitrag zur Respektierung der geistigen Dimension des Menschen einige Prinzipien anführen, die in der Erklärung Dignitatis Humanae des Zweiten Vatikanischen Konzils enthalten sind:

»Weil die Menschen Personen sind, d.h. mit Vernunft und freiem Willen begabt und damit auch zu persönlicher Verantwortung erhoben, werden alle — ihrer Würde gemäß — von ihrem eigenen Wesen gedrängt und zugleich durch eine moralische Pflicht gehalten, die Wahrheit zu suchen, vor allem jene Wahrheit, welche die Religion betrifft. Sie sind auch dazu verpflichtet, an der erkannten Wahrheit festzuhalten und ihr ganzes Leben nach den Forderungen der Wahrheit zu ordnen« (Dignitatis Humanae, 2).

»Denn die Verwirklichung und Ausübung der Religion besteht ihrem Wesen nach vor allem in inneren, willentlichen und freien Akten, durch die sich der Mensch unmittelbar auf Gott hinordnet; Akte dieser Art können von einer rein menschlichen Gewalt weder befohlen noch verhindert werden. Die Sozialnatur des Menschen erfordert aber, daß der Mensch innere Akte der Religion nach außen zum Ausdruck bringt, mit anderen in religiösen Dingen in Gemeinschaft steht und seine Religion gemeinschaftlich bekennt« (Dignitatis Humanae, 3).

Diese Worte berühren den Kern des Problems. Sie zeigen auch, auf welche Weise die Auseinandersetzung zwischen der religiösen und der agnostischen oder auch atheistischen Weltanschauung, die eines der »Zeichen der Zeit« unserer Epoche ist, doch korrekte und respektvolle menschliche Formen bewahren könnte, ohne die wesentlichen Gewissensrechte irgendeines Mannes oder irgendeiner Frau auf dieser Erde zu verletzen.

Der gleiche Respekt vor der Würde der menschlichen Person scheint auch zu fordern, daß dann, wenn im Hinblick auf nationale Gesetze oder internationale Konventionen der rechte Raum für die Ausübung der religiösen Freiheit diskutiert oder festgelegt werden sollte, auch diejenigen Institutionen hinzugezogen werden, die von ihrem Wesen her dem religiösen Leben dienen. Wenn man diese Beteiligung übergeht, läuft man Gefahr, in einem so intimen Bereich des Menschenlebens solche Normen oder Beschränkungen aufzuerlegen, die seinen wahren religiösen Bedürfnissen widersprechen.

21. Die Organisation der Vereinten Nationen hat das Jahr 1979 zum »Jahr des Kindes« erklärt. Ich möchte deshalb vor den versammelten Vertretern so vieler Nationen der Welt der Freude Ausdruck geben, die für jeden von uns die Kinder bedeuten, der Frühling des Lebens, der Anfang der zukünftigen Geschichte eines jeden hier vertretenen Vaterlandes. Kein Land der Welt, kein politisches System kann anders an seine eigene Zukunft denken als nur mit dem Blick auf diese neuen Generationen, die von ihren Eltern das vielfältige Erbe an Werten, Verpflichtungen und Hoffnungen der Nation, zu der sie gehören, zusammen mit dem Erbe der gesamten Menschheitsfamilie übernehmen. Die Sorge für das Kind noch vor seiner Geburt, vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an, und dann in den Jahren der Kindheit und der Jugendzeit ist die erste und grundlegende Probe für das Verhältnis des Menschen zum Menschen.

Was könnte man also einer jeden Nation und der ganzen Menschheit sowie allen Kindern der Welt Besseres wünschen als jene schönere Zukunft, in der die Achtung der Menschenrechte voll und ganz zur Wirklichkeit wird nach den Maßstäben des kommenden Jahres 2000?

22. Bei einer solchen Sicht müssen wir uns allerdings fragen, ob über dieser neuen Generation die Bedrohung der allgemeinen Vernichtung noch weiter zunehmen wird, für die die Mittel in der Hand der heutigen Staaten und vor allem der größeren Mächte der Erde bereitliegen. Müssen sie vielleicht von uns wie ein unausweichliches Erbe den Rüstungswettlauf übernehmen? Wie könnten wir ihnen diesen hemmungslosen Wettlauf erklären? Die Alten pflegten zu sagen: »Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.« Kann unsere Epoche aber noch daran glauben, daß die schwindelerregende Spirale der Aufrüstung dem Frieden in der Weit dient? Während man die Bedrohung durch einen möglichen Feind anführt, denkt man etwa daran, sich seinerseits ein Drohmittel in Reserve zu halten, um sich mit Hilfe des eigenen Vorrats an Vernichtungskraft behaupten zu können? Auch hier ist es wieder der dem Menschen dienende Sinn des Friedens, der daran ist, sich aufzulösen zugunsten von immer neuen möglichen Imperialismen.

Es drängt uns darum, von hier aus unseren Kindern, den Kindern aller Nationen der Erde in feierlicher Form zu wünschen, daß es niemals so weit komme. Und unablässig bete ich jeden Tag zu Gott, daß er uns in seiner Barmherzigkeit vor einem solch schrecklichen Tag bewahre.

23. Am Ende dieser Ansprache möchte ich noch einmal vor allen hier anwesenden hohen Repräsentanten der Staaten meine Wertschätzung und tiefe Liebe für alle Völker, für alle Nationen der Erde, für alle menschlichen Gemeinschaften zum Ausdruck bringen. Jede von ihnen hat ihre eigene Geschichte und Kultur: mein Wunsch sei, daß sie in Freiheit und auf der Grundlage der eigenen Geschichte leben und sich weiterentwickeln können. Denn dies ist der Maßstab für das Gemeinwohl einer jeden dieser Gemeinschaften. Ferner wünsche ich, daß jeder durch die moralische Kraft jener Gemeinschaft, die ihre Mitglieder zu Bürgern formt, leben und gestärkt werden könne. Mögen die staatlichen Autoritäten die wahren Rechte eines jeden Bürgers respektieren und sich dadurch um des Gemeinwohls willen des Vertrauens aller erfreuen.

Weiterhin lautet mein Wunsch, daß alle Nationen, auch die kleinsten sowie jene, die noch keine volle Souveränität besitzen oder denen sie gewaltsam genommen wurde, sich in voller Gleichheit zusammen mit den anderen in der Organisation der Vereinten Nationen einfinden können.

Möge die Organisation der Vereinten Nationen immer das oberste Forum für den Frieden und die Gerechtigkeit bleiben, der maßgebende Ort für die Freiheit der Völker und der Menschen in ihrer Sehnsucht nach einer besseren Zukunft.

 

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