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PASTORALBESUCH IN ÖSTERREICH

TREFFEN VON JOHANNES PAUL II.
MIT DEN JUGENDLICHEN IM PRATERSTADION

Wien (Österreich) - Samstag, 10. September 1983

 

Liebe junge Freunde! Brüder und Schwestern!

1. An diesem Abend gehöre ich Euch! Aus ganz Österreich seid Ihr hierhergekommen und habt auch Freunde aus den Nachbarländern mitgebracht. Viele von Euch sind schon berufstätig. Andere besuchen Schulen, auch Hochschulen. Gemeinsam ist Euch dieses schöne Land im Herzen Europas. Gemeinsam ist Euch auch der Glaube an Jesus Christus oder wenigstens das Suchen und Fragen nach ihm. Darum steht unsere Begegnung heute abend unter dem Thema »Jesus Christus unser Weg«.

Wenn ich Euch oder die jungen Menschen anderer Länder sehe, dann erfüllt mich eine tiefe Zuneigung und eine große Hoffnung. Das Schicksal Eures Landes bis weit hinein in das nächste Jahrtausend liegt auch in Euren Händen. Und auch das Schicksal des Glaubens in Österreich und darüber hinaus wird von Euch mitbestimmt sein. Aus Euren Fragen und Anregungen, mit denen Ihr das Wirken der Verantwortlichen in Staat und Kirche oft kritisch begleitet, erkenne ich Eure Bereitschaft, Euch den Aufgaben der Gegenwart zu stellen. Diese sind ungeheuer groß und verlangen Euren ganzen Einsatz.

Ihr selbst habt es soeben sehr eindrucksvoll und ernst dargestellt: Die Welt und die Zeit, in der wir heute leben, sind eine große Herausforderung für Euch. Ihr seid betroffen vom Elend und Hunger in weiten Teilen der Erde und von soviel Ungerechtigkeit. Ihr warnt vor der tödlichen Gefahr gigantischer Waffenarsenale und eines drohenden Atomkrieges. Ihr macht Euch Sorgen um die Umwelt. Ihr wißt, daß viele Menschen, vor allem Jugendliche, durch Arbeitslosigkeit bedroht sind oder schon jetzt keine Arbeit haben. Viele Menschen in anderen Ländern sind auch geistig unterdrückt und können ihren Glauben nicht in Freiheit bekennen. Das alles schafft da und dort das Gefühl, das Leben habe wenig Zukunft, wenig Sinn. In einer solchen Situation fliehen manche aus der Verantwortung: in kurzlebiges Vergnügen, in die Scheinwelt des Alkohols und der Drogen, in unverbindliche sexuelle Beziehungen, in Gleichgültigkeit, Zynismus oder auch Gewalt. Für einige wird die Flucht in den Tod zum scheinbar letzten Ausweg.

2. Aber die Mitte der Nacht ist, wie jemand gesagt hat, zugleich schon der Anfang des Tages. Die Schwierigkeiten unserer Zeit wecken bei vielen Menschen, besonders bei den jungen, auch die kühnsten Träume, die besten Kräfte des Geistes, des Herzens, der Hände. Es erwacht die Bereitschaft, zu teilen und das Leben ohne Berechnung einzusetzen.

Überall auf der Welt haben Menschen begonnen, sich und andere zu fragen: Was kann ich tun? Was können wir tun? Wohin führt unser Weg? Es sind vor allem junge Menschen, die so fragen. Sie möchten ihren Beitrag leisten, um eine weithin müde und kranke Gesellschaft zu heilen. So geben sie ihrem Leben und dem Leben ihrer Freunde einen neuen Sinn. Dieser Sinn hat für viele von ihnen schon einen Namen: den Namen »Jesus Christus«. Sie haben Jesus gefunden. Er ist ihre neue Hoffnung geworden. Andere junge Menschen hingegen suchen Jesus. Zeigt Ihr ihnen den Weg zu ihm!

Ihr seid auf verschiedenen Wegen miteinander zu Fuß in dieses Stadion gekommen. Die verschiedenen Wege, auf denen Ihr gekommen seid, mündeten ein in das Kreuz, das einige von Euch stellvertretend für die anderen mitten im Stadion auf den Boden gelegt, auf den Boden geschrieben haben. Es ist ein Kreuz aus Blumen, ein blühendes Kreuz. Es ist das Siegeszeichen Jesu, der als der Gekreuzigte zugleich auferstanden ist. Ein Zeichen des Osterglaubens gegen alles, was Euch lähmen könnte.

Eure Wege und dieses Kreuz in unserer Mitte verweisen uns auf Jesus Christus, der von sich gesagt hat: »Ich bin der Weg«. (Joh 14,6) Er hat vor bald 2000 Jahren junge Menschen, wie Ihr seid, zu sich gerufen. Sie haben Boot und Netz verlassen und sind seine Jünger geworden. Aus Fischern und Zöllnern wurden Apostel. Jesus ruft auch heute. Er ruft Euch! Und er zeigt Euch den Weg durch das, was die Evangelien über seinen Umgang mit den Menschen berichten.

3. Uns berührt sogleich die große Behutsamkeit und Zuneigung, mit der er den Menschen begegnet: wie er Kinder segnet und den Sündern beim Mahl Gemeinschaft gewährt; wie er um seine Jünger besorgt ist und sie schrittweise in seinen Lebensplan einführt; wie er den Schmerz der Witwe von Naim teilt, auf den blinden Bettler hört, der am Wege schreit, und wie er mit der Frau am Brunnen ein Gespräch führt. Jede Seite des Evangeliums berichtet von der feinfühligen Güte dessen, der »umherging, Wohltaten spendend...«.

Über den Menschen hinaus zeigt sich Jesus mit der ganzen Schöpfung tief verbunden: Er beobachtet, wie die Saat auf dem Acker gedeiht und wie der Feigenbaum Früchte ansetzt. Er achtet auf Wind und Wolken. Senfkorn und Weinstock, Lilien und Sperlinge werden zum Gleichnis für das Reich Gottes, das er verkündet. Wirklich, es erstaunt nicht, daß junge Menschen von heute auf Jesus neu aufmerksam werden: Ihr seid ja besonders darauf bedacht, daß Mensch und Natur in ihrer Würde und in ihrem Wert ernstgenommen werden.

Freilich verkörpert Jesus mehr als nur einige Ideale des modernen Menschen. Er zeigt in Natur und Mensch einen tiefen Sinn auf: Die Welt ist Gottes Schöpfung; in ihr ist ohne Unterlaß Gott, der ewige Vater, am Werk. So wird alles Geschaffene durchsichtig auf Gott hin: die großen Ereignisse ebenso wie die scheinbar unbedeutenden Dinge, an denen man leicht achtlos vorübergeht. Die Evangelien bezeugen also: Die Kraft, die Jesus und sein ganzes Leben durch und durch bestimmt, ist seine liebende Bindung an Gott Vater.

Für uns sollte diese Botschaft Jesu von der beständigen Gegenwart Gottes inmitten dieser Schöpfung eine Quelle der Zuversicht sein: Gott kennt uns. Er kennt uns besser, als wir uns selber kennen. Er liebt uns, auch wenn diese Liebe oft verborgen ist. Er ist ein Gott, der uns Zukunft gibt. Er ist nicht ein Gott der Toten, sondern der lebendige und lebenspendende Gott. Ihm können wir uns anvertrauen, in ihm Wurzeln schlagen. Wenn wir fallen, dann fallen wir nicht tiefer als in Gottes Hand. Das hat Jesus in den 33 Jahren seines Weges inmitten der Menschen vorgelebt. Das hat er gemeint, als er sagte: »Ich bin der Weg«.

Jesu Botschaft ist aber zugleich ein Anspruch. Zuneigung und Vertrauen zu ihm sollen in Nachfolge einmünden. Gefühle allein reichen nicht: Wir müssen bereit sein, unser Wollen und Handeln auf ihn einzurichten. Daran läßt der Herr keinen Zweifel: »Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt. (Joh 14,21)

Ihr mögt vielleicht jetzt fragen: Was fordert der Herr? Wie verwirklichen wir seinen Willen? »Du kennst die Gebote«, antwortet Jesus selbst im Evangelium dem jungen Mann, der ihm die gleiche Frage stellt. »Ihr kennt die Gebote!«. Nehmt sie ernst! Sie weisen Euch den Weg.

4. Liebe junge Freunde! Auf diesen Weg hat Christus Euch gerufen. Und wie mit den Emmausjüngern ist er mit Euch unterwegs auf Eurem Weg zu den Menschen, in den Beruf, in die Gesellschaft.

Ihr geht auf Menschen zu. Viele von ihnen sind Euch noch gar nicht bekannt. Einer wird vielleicht der Partner für Euer Leben sein, entscheidend ebenso für Euch wie für die Kinder, deren Eltern Ihr sein werdet. Wie findet Ihr den Weg zueinander? Wie lernt Ihr jene Liebe, die auch Enttäuschungen übersteht? Wie lernt Ihr jene wahre Selbstverwirklichung, die nicht nur Ich sagen kann, sondern auch Du und wir? Jesus hat gesagt: »Kommt und lernt von mir«.

Ihr geht auch auf einen Beruf zu und ich hoffe von ganzem Herzen, daß alle eine Arbeit finden können. Für viele wird es nicht ein Traumberuf sein, sondern ganz nüchtern ein Arbeitsplatz, an dem Ihr aber doch als ganze Menschen gefordert seid. Leistet zuverlässige Arbeit, seid gute Kameraden. Und wenn es Euch gegeben ist, seid auch bereit, besondere Verantwortung zu übernehmen. Habt keine Angst, Euch in Eurem Milieu als Christen zu bekennen. Dieses Bekenntnis bringt Euch eine tiefe Freude, auch wenn Ihr manchmal nicht verstanden oder sogar ausgelacht werden solltet.

Ihr seid schließlich auch unterwegs zu einer künftigen Gesellschaft. Ihr wünscht, daß sie besser sei als die jetzige Gesellschaft. Euer Wunsch ist berechtigt. Es wäre aber ungerecht, jenen nicht zu danken, die zu ihrer Zeit im voraus vieles für Euch getan haben. Es wäre ungerecht, rückblickend und besserwissend alles Gewesene gering zu schätzen. Als Christen glauben wir aber auch an die Möglichkeit der Weiterentwicklung zum Besseren. Dies setzt freilich oft eine tiefgreifende Neubesinnung und Umkehr voraus.

Ihr wollt eine Gesellschaft mit mehr Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Ihr wollt eine Gesellschaft mit mehr Verantwortungsbewußtsein gegenüber Mensch und Umwelt, mit mehr Toleranz und vor allem mit mehr Friede. Beginnt Ihr damit, wahrhaftig und gerecht zu sein, barmherzig und um Frieden bemüht, um Frieden, den man von anderen nur erwarten kann, wenn man ihn selbst lebt.

Ihr geht auf eine Gesellschaft zu, die Ihr mitgestalten müßt. Die nächste Generation wird Euch genauso fragen, wie Ihr heute die Älteren fragt: Was habt Ihr aus Eurem Leben und aus der Welt gemacht?

5. Ihr werdet auch, liebe Freunde, die kommende Geschichte der Kirche prägen. Ich bin überzeugt, daß Ihr keine Kirche wollt, die die Forderungen Jesu verkürzt oder die Schätze des Glaubens zu billigen Preisen veräußert. Ihr wollt eine Kirche, die deutlich spricht und glaubwürdig lebt. Ohne sich an den Zeitgeist auszuliefern, soll sie den Menschen von heute Hoffnung vermitteln. Sie tut dies: — indem sie unter den Menschen die Überzeugung wachhält, daß die Erlösung der Strukturen von der Erlösung der Herzen abhängt; — indem sie das Heil nicht allein von unserer eigenen Anstrengung, sondern vor allem als Gottes Geschenk erwartet; — indem sie Gott als unsere endgültige Erfüllung verkündet und uns die Angst nimmt, das Glück zu verpassen, wenn wir es uns nicht in raschem Zugriff selbst verschaffen; — indem sie eine fröhliche Einfachheit lebt, weil sie in Gott ihren wahren Reichtum hat.

Jesus sagt heute zu jedem von Euch, was er einst zum heiligen Franz von Assisi gesagt hat: Du sollst mein Haus, die Kirche, wiederaufbauen. Viele träumen von einer anderen, einer ganz neuen Kirche. Christus fordert Euch jedoch auf, ihm Euren Einsatz für die gegenwärtige Kirche zu schenken: diese sollt Ihr »wiederaufbauen«, diese soll erneuert werden.

Heute schon kann Euer Dienst beginnen, die Kirche von morgen bauen zu helfen: eine Kirche, die keine Trennung kennt, weder die Trennung der Konfessionen noch der Generationen; eine Kirche, die vielen Heimat bietet und doch deutlich macht, daß diese Welt nicht unser endgültiges Zuhause ist. In dieser Kirche habt Ihr alle einen Platz, eine Aufgabe.

Ihr baut diese Kirche als junge Christen, als künftige Mütter und Väter, als gläubige Menschen in vielen Berufen und Lebensbereichen. Unter Euch sind sicher auch nicht wenige, die Christus zum Dienst des Priesters, der Ordensfrau, des Ordensmannes berufen will. Verweigert Euch nicht seinem Ruf. Achtet auf seine leise Stimme inmitten der lauten Stimmen, die Euch etwas anderes sagen wollen.

6. Eure Aufgabe ist groß, junge Freunde! Aber Jesus sagt auch zu Euch »Fürchtet Euch nicht«. Laßt Euch nicht lähmen durch Unheilspropheten. Verschreibt Euch nicht dem Motto »Alles oder nichts«, sondern habt Mut und Geduld zu kleinen Schritten. Denkt selbst nach und laßt Euch nicht durch fremde Parolen leiten.

Jesus sagt auch zu Euch "Kehrt um, bekehrt Euch". Schiebt Eure Verantwortung nicht auf andere, auf die Gesellschaft, auf den Staat, auf die Kirche. Kehrt um aus der Klage und Anklage zu Eigenverantwortung. Laßt Euch im Bußsakrament versöhnen mit Gott und den Menschen, dann werdet Ihr frohe Menschen sein und auch andere froh machen können.

Jesus fragt auch Euch, wie er Petrus gefragt hat: »Liebst du mich?«. Wenn Ihr ihn liebt, was darf dann diese Liebe kosten? Ihr seid reich an Begabungen, an Ideen, an gutem Willen. Ihr setzt Euch ein für den Frieden und gegen die Not in der Dritten Welt. Ihr seid jung. Es ist auch heute schön, jung zu sein: offen für die Welt und für das Leben. Es ist schön, zu schenken und zu empfangen. Jesus sagt zu Euch: »Ich sende euch«. Bleibt nicht sitzen in Bequemlichkeit. Bleibt nicht sitzen mit Euren Zweifeln und Ängsten, sondern geht. Ihr wißt den Weg. Unser Weg ist Jesus Christus. Gehen wir diesen Weg miteinander!

 

 

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