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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE LITAUISCHEN BISCHÖFE
ANLÄßLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

 am 17. September

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

1. Es f reut mich, euch anläßlich dieses »Ad-limina«-Besuches wiederzusehen, der uns die Gelegenheit bietet, einen Augenblick intensiver Brüderlichkeit zu erleben, eingebunden in jenen fruchtbringenden Austausch, der für die Beziehungen zwischen den Hirten der Ortskirchen und dem Nachfolger Petri, dem Oberhirten der universalen Kirche, bezeichnend sein soll.

Mein Dank gilt Msgr. Jánis Pujats, dem Erzbischof von Riga, der eure Gefühle der Verbundenheit zum Ausdruck brachte. Durch euch entbiete ich der gesamten Gemeinschaft Litauens, welcher ich vor sechs Jahren zu meiner großen Freude persönlich begegnen durfte, meinen Gruß. Besonders wertvoll sind mir vor allem die Erinnerungen an die Feierlichkeiten im Heiligtum von Aglona, im marianischen Herzen Litauens, wo wir der Seligen Jungfrau die Tränen der Vergangenheit sowie unsere Erwartungen an die Zukunft vortrugen. Nach langen Jahren der Prüfung stellte diese Feier die erhebende Stunde des Magnifikat dar.

Denkwürdig war auch das ökumenische Klima, das meine Reise auszeichnete. Daß ich zusammen mit euch sowie mit den lutherischen und orthodoxen Brüdern beten durfte, ließ mich mit besonders intensiver Sehnsucht auf jenen Tag blicken, an welchem das gemeinsame Gebet durch die Gaben des Heiligen Geistes in die volle Gemeinschaft münden wird. Ihr, liebe Mitbrüder, seid als Oberhirten einer katholischen Gemeinschaft, die neben den anderen christlichen Brüdern eine Minderheit darstellt, dazu berufen, mit besonderem Eifer den Weg der Ökumene zu beschreiten, der nunmehr unumkehrbar als ein Kennzeichen der Jünger Christi angesehen werden kann, ganz im Einklang mit seinem hohenpriesterlichen Gebet: »Alle sollen eins sein« (Joh 17,11.21).

2. Gemeinsam mit den Brüdern der verschiedenen Konfessionen habt ihr viele Jahre hindurch unter der Härte eines Regimes gelitten, das eine irdische Stadt ohne das Licht des Glaubens errichten wollte. Noch immer lassen sich die Nachwirkungen der atheistischen Propaganda verspüren, vor allem bei jenen Generationen, die deren Einfluß in besonderer Weise ausgesetzt waren. In nicht viel glücklicherer Lage befinden sich jedoch auch die Jugendlichen, da sich mit dem Einzug der Freiheit auch jenes in weiten Teilen der Welt vorherrschende kulturelle Modell ausbreitete, bei dem sich Gleichgültigkeit und religiöser Indifferentismus nicht selten mit Verhaltensweisen verbinden, die mit dem Evangelium Christi gänzlich unvereinbar sind. Hiervon ist die Familie betroffen, die zunehmend die Werte der Einheit und der Beständigkeit verliert. Hierdurch wird selbst der Wert des Lebens beeinträchtigt, das zum Ziel zahlreicher, oft sogar legalisierter Angriffe wird.

Angesichts solch schwerer Probleme muß mit aller Kraft jener echte Humanismus als Vorschlag eingebracht werden, der auf allgemeingültigen moralischen Gesetzen gründet und durch die Botschaft des Evangeliums erhellt wird. Wie wir wissen, bedeutet dies jedoch ein »Gegen-den-Strom-Schwimmen«. Wie können wir uns nun Gehör verschaffen, wie sollen wir zu den Gewissen sprechen, wenn sich alles in eine andere Richtung zu bewegen scheint? Die Kirche braucht folglich einen Schub an Enthusiasmus und Eifer, indem sie sich wie am ersten Pfingsten vom Geist erfüllen läßt.

3. Auch hinsichtlich eines solchen neuen pastoralen Aufbruches erwies sich die neue Aufgliederung der katholischen Gemeinschaft, die mit der Schaffung weiterer Diözesen einherging, von großem Nutzen. Dank dieser weiter veränderten und den Gegebenheiten des Landes besser angepaßten Strukturierung kann die Kirche Litauens bezüglich ihrer Präsenz und ihrer Handlungsmöglichkeiten wachsen. Wie das II. Vatikanische Konzil hervorhob, handelt es sich bei den Diözesen nicht lediglich um Verwaltungseinheiten, sondern um wahrhaftige Kirchen, »in denen und aus denen die eine und einzige katholische Kirche besteht« (Lumen gentium, 23).

Der Sinn der Ortskirche erschließt sich vor dem Hintergrund der Ausführungen des Konzils über das Geheimnis der Kirche, welches in der Dreifaltigkeit selbst gründet. Es handelt sich hierbei um ein Geheimnis, das, obgleich es in ganzer Fülle in der Einheit der Weltkirche zum Ausdruck kommt, auch in den einzelnen Ortskirchen verwirklicht ist, wo man sich bei der Feier der Eucharistie unter der Leitung des Bischofs zum Hören des Wortes Gottes versammelt. Somit gibt es keinen Gegensatz, sondern vielmehr eine »gegenseitige Innerlichkeit« zwischen dem universalen Aspekt jener Gemeinschaft und der je eigenen Berufung der verschiedenen Ortskirchen (vgl. Kongregation für die Glaubenslehre Communionis notio, 28. Mai 1992, Nr. 9: AAS 85 [1993] 842; DAS [1992] S. 1258).

Es handelt sich hierbei um eine Zusammenfassung des Amtes des Bischofs, der einerseits durch sein Eingebundensein in das Bischofskollegium an der universalen Dimension der Gemeinschaft und des pastoralen Dienstes teilhat. Andererseits verwirklicht er sein dreifaches ihm anvertrautes Amt als Lehrer, Verwalter der Sakramente und Vorsteher (vgl. LG, 25–27) des Volkes. Seit den Zeiten des Konzils wurde die Dimension der Kollegialität in besonderer Weise betont und durch neue Instrumente bereichert.

Von großer Bedeutung ist diesbezüglich die Bischofskonferenz, die den Kirchen eines bestimmten Gebietes dabei hilft, ihr pastorales Handeln beständig aufeinander abzustimmen. Anhand eurer eigenen, wenn auch noch jungen Bischofskonferenz könnt ihr den Nutzen dieser Einrichtung erkennen. Es soll hierbei jedoch daran erinnert werden, daß die Bischofskonferenz in keiner Weise die Amtsbefugnisse des jeweiligen Oberhirten beschneidet, der für die gesamte Pastoral seines Gebietes direkt und persönlich verantwortlich bleibt (vgl. das Apostolische Schreiben Apostolos suos über die theologische und rechtliche Natur der Bischofskonferenzen, 21. Mai 1998, Nr. 20: AAS 90 [1998]; O.R. dt., Nr. 31–32, 1998, S. 9).

4. Eure Kirche, liebe Mitbrüder, durchlebt derzeit eine Periode des Übergangs und der Veränderungen. In den langen Jahren der kommunistischen Herrschaft habt ihr die Gabe der Treue und des Martyriums kennengelernt, was ein bedeutender Same der Hoffnung für eure Zukunft bleibt. Doch ihr selbst habt mich auf einige negative Spuren aufmerksam gemacht, die jener lange Zeitraum in eurer kirchlichen Gemeinschaft hinterlassen hat. Viele Katholiken gehen nicht regelmäßig zum Sonntagsgottesdienst und zu den Sakramenten. Eine nicht geringe Anzahl von Personen läßt nicht einmal die Kinder taufen oder schiebt deren Taufe auf. Unterdessen nimmt die Verbreitung der Sekten zu. Dies sind besorgniserregende Zeichen.

Daher muß die Neuevangelisierung zum vorrangigen Ziel und Gebot erhoben werden. Christus muß der lettischen Gesellschaft, und hierbei insbesondere den jungen Generationen, nahegebracht werden, damit ihn alle als den Erlöser erkennen können, der Worte des ewigen Lebens spricht (Joh 6,68) und der »die Freude aller Herzen und die Erfüllung ihrer Sehnsüchte ist« (Gaudium et spes, 45). Umso mehr freue ich mich über die Anstrengungen, die ihr auf dem Gebiet der Entwicklung der Katechese und der Heranbildung von Katecheten mittels der Errichtung des Katechetischen Institutes von Riga und der dazugehörigen interdiözesanen Einrichtungen unternehmt. Das Ziel, das ins Auge gefaßt werden soll, ist, daß der Glaube eines jeden Getauften zu einer echten Wahl werde, die durch eine Katechese unterstützt wird, die nicht nur zur Erkenntnis der Wahrheit, sondern auch zu Erfahrungen mit den göttlichen Geheimnissen und zu einem ganzheitlichen Leben führt. Ihr, liebe Mitbrüder, seid an »allererster Stelle für die Katechese verantwortlich: ihr seid die Katecheten im wahrsten Sinne des Wortes« (Catechesi tradendae, 63). Gebt euch weiterhin Mühe, damit das Wort Christi in überreichem Maße den einzelnen, den Familien und der Gesellschaft in allen ihren Bereichen verkündet wird.

5. Die gläubige Aufnahme des Wortes Gottes führt ihrerseits dazu, die Liturgie als »Quelle und Gipfel« des kirchlichen Lebens zu erfahren (vgl. Sacrosanctum Concilium, 10). Wir müssen die liturgische Erneuerung, die vom Konzil durchgeführt wurde, als ein großes Geschenk Gottes an die Kirche unserer Zeit ansehen und unseren Gläubigen dabei helfen, ganz aus dieser Gabe heraus zu leben. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Wiederentdeckung der Feier des Sonntags als Tag des Herrn, dem ich im vergangenen Jahr das Apostolische Schreiben Dies Domini gewidmet habe.

Die traditionelle Praxis des Sonntagsgebotes muß mit vollem Einsatz gefördert werden, wobei in der Seelsorge all jenen Schwierigkeiten verständnisvoll begegnet werde, mit denen die Gläubigen eines bestimmten Gebietes nicht selten konfrontiert werden. Es ist vor allem vonnöten, das Geheimnis dieses Tages begreiflich zu machen, in dem ja das christliche Geheimnis selbst enthalten ist. Der Sonntag ist nämlich jene wöchentliche Wiederkehr des Tages der Auferstehung Christi, der Tag, an dem die gesamte, von ihm erlöste Schöpfung in geheimnisvoller Weise zu einem neuen Leben »wiedergeboren« wird in treuer Erwartung seiner glorreichen Wiederkunft am Ende der Zeiten. Somit ist also der Sonntag der Tag des Glaubens schlechthin: ein unverzichtbarer Tag! (vgl. DD, 29–30).

 6. Zugleich handelt es sich beim Sonntag in besonderer Weise um den »dies Ecclesiae«, den Tag der Kirche. Es ist daher unerläßlich, daß die sonntägliche Eucharistiefeier so vorgenommen wird, daß sie den Sinngehalt der Kirche voll zum Ausdruck bringt. Am »Tisch des Wortes« ruft Gott sein Volk zu einem beständigen Liebesdialog an. Beim eucharistischen Mahl formt Gott dieses Volk zu seinem »Leib« und zu seiner »Braut«, indem er zum Brot des Lebens und zum Band der Einheit wird. Die sonntägliche Eucharistiefeier ist fürwahr ein privilegierter Augenblick, weil die Gläubigen dort ihr »Kirche-Sein« verspüren und weil sie hierdurch in der Gemeinschaft wachsen können.

Ihrem ureigensten Wesen nach bringen somit das Hören des Wortes Gottes und der Empfang des Leibes Christi die Gläubigen dazu, sich zu »Glaubensverkündern und Zeugen« zu machen (DD, 45). Von der Messe hin zur Mission: dies ist der natürliche Weg einer jeden christlichen Gemeinschaft, der besonders im derzeitigen geschichtlichen Abschnitt vonnöten ist, in dem sich die Kirche Litauens vor die große Herausforderung der Neuevangelisierung gestellt sieht.

 7. All dies kann lediglich in dem Maße geschehen, in dem sich der jeweilige Getaufte seiner Berufung bewußt wird. Diesbezüglich ist die Förderung der Laien von entscheidender Bedeutung. Bestimmte Auffassungen bezüglich des Wesens der christlichen Gemeinschaft führten nicht selten dazu, den Laien eine passive Haltung zuzuweisen. In eurem Land kann zudem die schmerzvolle Erinnerung an das vorherige Regime, das zahlreiche Mitarbeiter für antikirchliche Schikanen benutzte, das Vertrauen in eine weitergehende Übertragung von Verantwortung auf die Laien mindern. Dennoch müssen wir voller Vertrauen auf die Zukunft blicken. Gemäß der vom Konzil vorgezeichneten Richtlinien sind die Laien, obgleich sie die Priester nie ersetzen können, zu einem wahren und echten Apostolat berufen, das unter den heutigen Bedingungen »noch intensiver werden und sich noch stärker ausweiten muß« (Apostolicam actuositatem, 1).

Zu diesem Bewußtsein können die Laien auch mit Hilfe von durch die Kirche anerkannten Vereinigungen und kirchlichen Bewegungen gelangen, vorausgesetzt, daß sie in vollem Einklang mit den Bischöfen und gemäß der Pastoral der Diözese wirken. Über diese sozusagen »interne« Pflicht hinaus kommt die Berufung der Laien vor allem auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen Kirche und Welt zum Ausdruck. »Die Laien sind eigentlich, wenn auch nicht ausschließlich, zuständig für die weltlichen Aufgaben und Tätigkeiten« (GS, 43). Es ist besonders dem täglichen Zeugnis der Laien zu verdanken, daß das Evangelium zum Hefeteig aller Aspekte des Lebens werden kann: von der Familie bis hin zur Kultur, von der Kunst über die Wirtschaft bis hin zum politischen Engagement. »Ein Christ, der seine irdischen Pflichten vernachlässigt, versäumt damit seine Pflichten gegenüber dem nächsten, ja gegen Gott selbst« (ebd., 43).

8. Liebe Mitbrüder, es liegt auf der Hand, daß das Geheimnis einer Erneuerung und eines Aufschwungs in der Kirche Litauens zu einem entscheidenden Teil bei jenen Personen liegt, die sich durch eine besondere Berufung der Sache des Reiches Christi gewidmet haben. Ich denke an die Ordensmänner und -frauen, von denen ich mir eine immer qualifiziertere und lebendigere Präsenz in euren Gemeinden erwarte.

Meine Gedanken richten sich vor allem auf den priesterlichen Dienst. In euren Gemeinden läßt sich feststellen, daß ein zahlenmäßiges Anwachsen der Priester dringend nötig wäre, um den Bedarf der verschiedenen Pfarreien decken zu können. Dieser Bedarf kann gewiß durch die Mitarbeit der Laien wie auch durch die Förderung des ständigen Diakonats abgeschwächt werden. Dennoch bleibt der Priester unersetzbar. Ihm obliegt nämlich die Aufgabe, bei der Verwaltung der Sakramente »in persona Christi« zu handeln; er hat in getreuer Zusammenarbeit mit dem Bischof das Amt der Verkündigung des Wortes Gottes und des Gemeindevorstehers auszuführen. Das Volk Gottes hat ein Recht auf seinen Dienst als Hirte und Vater.

Hierin liegt – gestützt auf das Gebet an den »Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden« (Mt 9, 38) – die dringende Notwendigkeit einer Pastoral der Berufungen begründet, die es sich zur Aufgabe macht, die Familien und die gesamte christliche Gemeinschaft so zu sensibilisieren, daß Heranwachsende und Jugendliche dabei eine Hilfe erfahren, sich für eine etwaige Berufung durch Gott bereitzuhalten. Wir wissen genau, von welch großer Bedeutung die Ausbildung ist, die all jenen zugesichert werden muß, die sich darauf vorbereiten, in der Gemeinde eine solch bedeutende Aufgabe zu übernehmen. In der Tat wird eine solide theologische und kirchliche Ausbildung verlangt, die auf das menschliche und emotionale Gleichgewicht bedacht ist, die in einer tiefen Spiritualität verwurzelt ist und sich durch eine herzliche Offenheit auszeichnet, welche jedoch gegenüber der Wirklichkeit der Welt, in der wir leben, wachsam bleibt. In der Ausbildung eurer Priester liegt ein gutes Stück der Zukunft der Kirche Litauens begründet.

9. Danke, liebe Mitbrüder, für die Freude, die ihr mir durch eure Anwesenheit gemacht habt. Ich möchte euch gegenüber noch einmal meine volle Wertschätzung zum Ausdruck bringen für all das, was ihr für das Volk Gottes tut und künftig noch tun werdet trotz der zahlreichen Schwierigkeiten, mit denen ihr euch konfrontiert wißt. Vergessen wir in den unvermeidbaren Stunden der Dunkelheit niemals, daß wir nicht allein sind: unsere Anstrengungen werden von der Gnade getragen, der wir uns voll überantworten wollen.

Habt also Mut: »Caritas Christi urget nos« (2 Kor 5,14). Laßt uns, wie der Apostel, mit der Kraft jener Liebe voranschreiten, die uns umgibt und begleitet. Hierbei diene uns auch der Blick auf das bevorstehende Große Jubiläum als Ansporn, welches uns alle anruft, einen besonderen Schritt hin zur Bekehrung zu unternehmen.

Ich rufe die himmlische Mutter an, sie möge euch für euer apostolisches Wirken Kraft, Ausdauer und reiche Früchte schenken, und erteile euch und den euch anvertrauten Gläubigen von Herzen meinen Apostolischen Segen. 

 



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