ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE POLNISCHEN PILGER
ANLÄSSLICH IHRER NATIONALWALLFAHRT NACH ROM
Donnerstag, 6. Juli 2000
Liebe Brüder und Schwestern!
1. Gott und seiner Mutter sage ich Dank für diese ergreifende Begegnung, bei der wir gemeinsam im Gebet verharrt haben.
Es freut mich, zusammen mit euch – meinen Landsleuten, die aus Polen und der ganzen Welt hierher gekommen sind – an dieser Nationalwallfahrt zum Heiligen Jahr teilzunehmen. Ich grüße euch alle hier Anwesenden und auch die zu Hause Gebliebenen, die sich geistig oder über Radio und Fernsehen mit uns verbinden. Ein Wort besonderer Nähe gilt den Kranken und Leidenden. Allen will ich meinen besonderen Gruß übermitteln. Dieser Gebetsversammlung ist ein reiches künstlerisches Programm vorausgegangen. Ich danke den Chören, den Kunst- und Musikgruppen und ihren Leitern wie auch den einzelnen Künstlern und den Veranstaltern. Gott vergelte euch dieses Jubiläumsgeschenk.
2. Es freut mich, daß die Polen im Jubiläumsjahr so zahlreich nach Rom kommen. Vor Augen habe ich die Gruppen Tausender von Polen, die an der Eröffnung des Heiligen Jahres, an den Feiern der drei österlichen Tage oder an der Heiligsprechung von Sr. Faustyna teilgenommen haben. Und weiter waren hier zu Beginn des Jahres auch die Kranken, dann die Arbeiter, die Journalisten, die Wissenschaftler … und auch die polnischen Priester waren da, um ihre Jubiläumsfeier zusammen mit dem Papst und den Priestern aus der ganzen Welt zu begehen.
Alle diese Pilger tragen die noch nicht ferne Erinnerung an die polnische Jahrtausendfeier mit sich – das Gedächtnis des Jahrtausends seit der Taufe unserer Nation. Mit diesem polnischen Millennium verbunden war die Gestalt des großen Primas, Stefan Kardinal Wyszynski, der die Kirche und die Nation über die Schwelle des zweiten Jahrtausends [des christlichen Polens] geführt hat. Damit verbunden war auch die Pilgerfahrt des Marienbildes von Jasna Góra. Schließlich verband sich damit das große Ereignis des II. Vatikanischen Konzils. Durch diese polnische Jahrtausendfeier hat sich in uns das Bewußtsein vom Volk Gottes, das von Generation zu Generation durch diese Welt dem Haus des Vaters entgegenpilgert, gestärkt. Heute tragen wir gerade dieses so gestaltete Bewußtsein an die Pforte des Großen Jubiläums, durch die im Pilgerzug die Völker und Nationen der ganzen Erde hindurchziehen.
Da wir unsere polnischen Erlebnisse des Jahrtausends in Erinnerung haben, erfahren wir in besonderer Weise die Tatsache, daß unsere Anwesenheit hier Frucht der großen Pilgerreise der Geschichte ist, die für unsere Nation begann, als Fürst Mieszko die Taufe empfing und den Glauben an Christus bekannte. Wir wollen, daß diese Nation heute teilnehme an unserem Besuch an den apostolischen Schwellen des Großen Jubiläums und daß mit ihr heute unsere ganze tausendjährige Geschichte und Kultur, angefangen bei Adalberts Hymnus »Mutter Gottes«, hier anwesend sei. Wir wollen hier zu uns alle Piasten einladen, die auf dem polnischen Thron gesessen haben, von Mieszko bis zu Kasimir dem Großen. Wir wollen, daß hier die Herrin vom Wawel, Königin Hedwig, anwesend sei mit allem, was sie für unsere Nation und für die polnische Kultur getan hat. Zusammen mit ihr ziehe hier die ganze Jagiellonenepoche auf, die Zeit der »Republik dreier Nationen« – die Zeit größten historischen Glanzes für unser Vaterland. Wir wollen hier alle zusammenrufen, deren sterbliche Hüllen in der Krypta auf dem Wawel ruhen – Bischöfe, Könige, Heerführer und Poeten –, alle, die den Verlauf unserer hehren und schwierigen Geschichte geprägt haben, die gekennzeichnet ist von Siegen und Niederlagen bis hin zum großen Zusammenbruch der drei Teilungen und weiter zu den Aufständen im 19. Jahrhundert und der heroischen Zurückgewinnung der Unabhängigkeit nunmehr in diesem Jahrhundert.
Alle diese Väter unserer Geschichte mögen heute hier anwesend sein und bezeugen, daß die aufeinanderfolgenden Generationen der Söhne und Töchter der Kirche in Polen eine bleibende Spur ihres Glaubens, der Liebe zu Gott und den Menschen, des Eintretens für die Achtung der überzeitlichen Werte in der Geschichte zurückgelassen haben. Nicht fehlen möge dieses Zeugnis der Anstrengung von vielen Generationen zur Gestaltung des christlichen Gesichtes nicht nur unserer Nation sondern auch ganz Europas. Wir nehmen ihr Zeugnis an, nicht um uns zu rühmen, sondern um dem Herrn Ehre zu erweisen und dann dieses Erbe bewußt zu übernehmen und an die kommenden Generationen weiterzugeben. Alles, was Polen ausmacht, möge hier mit uns durch die Pforte des dritten Jahrtausends eintreten, die sich auf die Zukunft hin öffnet.
3. In diesem Jahr des Großen Jubiläums habt ihr euch auf die Wallfahrt nach Rom, zu den Gräbern der hll. Apostel Petrus und Paulus, begeben, um am Glauben der Apostel euren Glauben zu erneuern und zu bereichern durch die Erfahrung des gemeinsamen Weges, das Opfer der ausgestandenen Mühen und aufrichtiges Gebet. »Die Wallfahrt ist« – wie ich in der Bulle Incarnationis mysterium geschrieben habe – »seit jeher ein bedeutsamer Augenblick im Leben der Christen gewesen. Sie erinnert an den persönlichen Weg des Glaubenden auf den Spuren des Erlösers: eine Übung tätiger Askese, der Reue über die menschlichen Schwächen, steten Wachens über die eigene Anfälligkeit, der inneren Vorbereitung auf die Erneuerung des Herzens. Durch Wachen, Fasten und Gebet kommt der Pilger auf dem Weg der christlichen Vollkommenheit voran, indem er sich bemüht, mit Hilfe der Gnade Gottes ›zum vollkommenen Menschen [zu] werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt dar[zu]stellen‹ (Eph 4,13)« (vgl. Nr. 7).
Das Gebet ist eine wirksame Hilfe, dank der wir unseren Glauben bereichern und fähig machen, Früchte zu bringen: ein Glaube, der die Kraft und Fähigkeit zu einer ständigen Vervollkommnung unseres Lebens – auf persönlicher, familiärer und gesellschaftlicher Ebene – besitzt. Deshalb hat diese Wallfahrt heute morgen mit der festlichen Eucharistie begonnen, die ich mit den Bischöfen und Priestern gefeiert habe, und jetzt, am Abend, wird dieser Tag in gewissem Sinn durch dieses gemeinsame Gebet auf dem Petersplatz vervollständigt.
Heute haben die Welt, und auch unser Vaterland, Menschen mit einem reifen Glauben dringend nötig, die Christus mit Mut an jedem Ort und in jeder Lage bekennen. Es braucht wirkliche Bannerträger des Evangeliums und Boten der Wahrheit. Es braucht Menschen, die glauben und lieben und die diese Liebe zu Gott zu einem echten Dienst am Menschen machen. Der größte Reichtum, den wir an der Schwelle des dritten Jahrtausends der jungen Generation weitergeben können, ist unser Glaube. Selig die Nation, die ihren Weg im Licht des Evangeliums geht, die aus der Wahrheit Gottes lebt, die die Wissenschaft aus dem Kreuz schöpft. Ich sage euch diese Worte hier in Rom, in der Ewigen Stadt, wo die hll. Apostel Petrus und Paulus lebten und wirkten und gestorben sind. Der Glaube erfüllte bis zuletzt ihr Leben. Dank ihm fürchtete Petrus das Kreuz nicht und Paulus nicht das Schwert. Sie wurden zu machtvollen Zeugen Christi, und ihr Zeugnis dauert durch alle Zeit hindurch und trägt Frucht. »Denn alles, was von Gott stammt, besiegt die Welt. Und das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube« (1 Joh 5,4). Mögen diese Worte aus dem ersten Brief des Johannes euch begleiten, während ihr die Heilige Pforte der Petersbasilika und die der anderen Patriarchalbasiliken durchschreitet. An den Gräbern der Märtyrer des Glaubens sprechen wir heute unser Credo und wollen kraftvoll bekennen: »Jesus Christus ist der Herr« – »zur Ehre Gottes, des Vaters« (Phil 2,11).
4. »Bei dem Kreuz Jesu stand seine Mutter« (vgl. Joh 19,25). Diese Worte aus dem Johannesevangelium haben wir im Lauf dieser abendlichen Liturgie gehört. Unter dem Kreuz des sterbenden Jesus ist die Mutter anwesend. Seine geliebte Mutter, die ihm bis ans Ende treu ist. Ihre Anwesenheit, ihr »Stehen« unter dem Kreuz zeugt von der Stärke und dem außergewöhnlichen Mut, die sie in diesem entscheidenden Augenblick beweist. Im Drama der Erlösung, das sich auf Golgota abspielt, findet Maria Halt im Glauben. Das II. Vatikanische Konzil sagt: »So ging auch die selige Jungfrau den Pilgerweg des Glaubens. Ihre Vereinigung mit dem Sohn hielt sie in Treue bis zum Kreuz« (Lumen gentium, 58). Für uns, für die ganze Menschheit bleibt Maria immer das vollkommene Vorbild eines solchen Glaubens, der weder Angst noch Kompromisse kennt, der aus sich heraus das Ausharren bis zum Ende, bis zum Kreuz, gebietet.
Wir wollen zur Jungfrau und Gottesmutter, der Königin Polens und Unserer Lieben Frau von Jasna Góra beten, daß sie uns einen reichen und reifen Glauben bei ihrem Sohn erbitte, so daß wir ihn ausstrahlen und bezeugen können; einen lebendigen Glauben, der sich im Leben ausdrückt und unsere Alltäglichkeit gestaltet; einen kreativen Glauben, der fähig ist, uns selbst und die Welt, in der wir leben, zu verändern. Sie vervollständige ihn mit Liebe und mache ihn empfänglich für die Zeichen der Zeit und die Bedürfnisse der Brüder.
Für das dritte Jahrtausend, das sich vor uns auftut, bitten wir die Mutter des Gottessohnes und unsere Mutter, daß sie uns die Gnade der Treue zu Gott, zum Kreuz, zum Evangelium und zur Kirche erwirke. Wir wollen uns ihrem Schutz anvertrauen, damit wir durch alle Jahrhunderte hindurch den Schatz des heiligen Glaubens ohne Makel zu bewahren vermögen.
Liebe Brüder und Schwestern, das ist der Zweck unseres gemeinsamen Gebetes hier auf dem Petersplatz, das ist der Sinn dieser Nationalwallfahrt zur Heiligen Pforte und zu den Gräbern der hll. Apostel. Deshalb sind wir hierher gekommen.
Maria, seit so langer Zeit schon bist du die Königin Polens!
Sprich ein Wort zu unseren Gunsten!
Schütze die ganze Nation,
die deiner Ehre wegen lebt,
daß sie glorreich erblühe, Maria!
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