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  BOTSCHAFT VON KARDINAL ANGELO SODANO
IM NAMEN VON PAPST JOHANNES PAUL II.
ANLÄßLICH DES 24. MEETINGS FÜR DIE FREUNDSCHAFT
ZWISCHEN DEN VÖLKERN (RIMINI, 24.-31. AUGUST 2003)

 

Exzellenz!

Auch in diesem Jahr möchte der Heilige Vater Ihnen, den Organisatoren und allen Teilnehmern am »Meeting für die Freundschaft zwischen den Völkern« seinen herzlichen Gruß übermitteln.

1. Das für das diesjährige Treffen gewählte Thema ist Psalm 34 entnommen: »Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?« Es handelt sich um eine Frage, die zum Nachdenken anregt. Über weite Teile seiner Existenz ist der Mensch nahezu unempfänglich für seine Berufung zu wahrer Glückseligkeit, eine Berufung, die seinem Bewußtsein innewohnt; er wird gewissermaßen »abgelenkt« von den zahlreichen Beziehungen zur Wirklichkeit, und sein inneres Ohr scheint nicht mehr reagieren zu können.

Es kommen uns die Worte Jesajas in den Sinn: »Niemand ruft deinen Namen an, keiner rafft sich dazu auf, festzuhalten an dir. Denn du hast dein Angesicht vor uns verborgen und hast uns der Gewalt unserer Schuld überlassen« (Jes 64,6). Der Prophet beleuchtet die Wurzel jenes Unbehagens, das von der Frage des Psalms hervorgerufen wird, und fährt dann fort: »Ich wäre zu erreichen gewesen für die, die nicht nach mir fragten, ich wäre zu finden gewesen für die, die nicht nach mir suchten. Ich sagte zu einem Volk, das meinen Namen nicht anrief: Hier bin ich, hier bin ich« (Jes 65,1).

Dieses Wort des Propheten ist wahrscheinlich der beste Kontrapunkt zum Thema des Meetings. Gott schreitet ein, er rüttelt den auf sich selbst zurückgebeugten Menschen wach, der von seiner eigenen Bosheit benebelt ist, er zeigt sich ihm und versucht wiederholt, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Die Beharrlichkeit Gottes, der sich liebevoll einem Kind offenbart, dessen Leben abzudriften droht, ist ein anrührendes Geheimnis der Barmherzigkeit und Unentgeltlichkeit.

2. Die Welt, die die Menschheit vor allem in den vergangenen Jahrhunderten aufgebaut hat, tendiert oft dazu, in den Menschen die natürliche Sehnsucht nach Glück zu verdunkeln und jene »Zerstreuung« zu verstärken, der sie aufgrund der ihnen wesenseigenen Schwachheit zu verfallen drohen. Die heutige Gesellschaft fördert jene Art von Verlangen, das durch psychologische und soziologische Normen kontrolliert und somit häufig gewinnbringend oder zur Erlangung von Zustimmung und Anklang eingesetzt wird. Eine Vielzahl von Wünschen hat jene Sehnsucht ersetzt, die Gott der menschlichen Person ins Herz gelegt hat, damit sie Ihn suche und in Ihm allein volle Erfüllung und Frieden finde. Partielle Wünsche, die gesteuert werden von machtvollen Mitteln, die in der Lage sind, unser Bewußtsein zu beeinflussen, werden zu Zentrifugalkräften, die den Menschen immer mehr von sich selbst entfernen, ihn unzufrieden und mitunter sogar gewalttätig machen.

Das diesjährige Meeting von Rimini wirft ein stets aktuelles Thema neu auf: Die von der Sehnsucht nach dem Unendlichen beseelte menschliche Kreatur darf niemals zu einem Mittel herabgestuft werden, das der Verwirklichung irgendwelcher Interessen dient. Die Prägemale des Göttlichen, die in ihr die Form sehnsüchtigen Verlangens nach Glückseligkeit annehmen, bewirken, daß sie wesensmäßig nie instrumentalisiert werden kann.

3. Das Unbehagen gegenüber der in Psalm 34 aufgeworfenen Frage beruht somit auf der Tatsache, daß der Mensch oft nicht die Kraft findet zu sagen: »Ich! Ich bin ein Mensch, der das Leben will und sich nach guten Tagen sehnt.« Das Thema des Meetings macht darauf aufmerksam, wie notwendig ein Erwachen des Menschen ist: Er muß wieder die Kraft und den Mut finden, vor Gott zu treten, um auf das »Hier bin ich, hier bin ich« des Herrn zu antworten und, wenn auch mit schwacher Stimme, gleichsam als Echo dieses Rufs zu sagen: »Auch ich bin hier. Nun, da du mich wiedergefunden hast, erhebe ich meinen Ruf zu dir.«

Diese Antwort an den Gott, der ruft, bis er unsere Taubheit überwunden hat, bringt die anrührende Erkenntnis zum Ausdruck, zu der der Mensch im tiefsten Inneren seiner Seele gelangt. Dies geschieht in dem Augenblick, in dem der Ruf Gottes den Nebel durchdringt, der unser Bewußtsein einhüllt. Allein die Antwort: »Hier bin ich« gibt dem Menschen sein wahres Antlitz zurück und bedeutet den Anfang seiner Erlösung.

Hierbei muß die Person von einer angemessenen Erziehung unterstützt werden, deren eigentliches Ziel es ist, in ihr das Bewußtsein ihrer eigenen Bestimmung zu fördern und in ihrem Herzen die notwendige Kraft für deren Verwirklichung zu wecken. Die Erziehung richtet sich daher nie an die Masse, sondern vielmehr an den einzelnen Menschen in seiner einzigartigen und einmaligen Wesensart. Dies bedingt eine aufrichtige Liebe zur Freiheit des Menschen und den unermüdlichen Einsatz für deren Schutz.

4. Mit dem diesjährigen Thema erinnert das Meeting auch an die Völker Europas, die unter der schweren Last ihrer Geschichte, in der sie verwurzelt sind, zu wanken scheinen. Durch die erneute Betrachtung der im Psalm gestellten Frage weckt die Veranstaltung in Rimini die Erinnerung an die bedeutende Gestalt des hl. Benedikt, und insbesondere an den Augenblick, als er jene empfing, die um Aufnahme ins Kloster gebeten haben (vgl. Regel, Prolog 15). Seine Regel war nicht nur ein Weg zu christlicher Vollkommenheit, sondern auch ein einzigartiges Werkzeug der Zivilisation, der Einheit und der Freiheit. In den von so viel Verwirrung und Gewalt geprägten Jahrhunderten hat sie die Errichtung eines Bollwerks ermöglicht, durch das die Menschen der verschiedenen Epochen ihre volle Würde wiedererlangen konnten. Die Zukunft aufbauen bedeutet, von den Wurzeln Europas auszugehen und die größtenteils von der Begegnung mit Christus geprägten Erfahrungen der Vergangenheit zu nutzen.

In der Hoffnung, daß das Meeting eine Gelegenheit zu wahrer kultureller und spiritueller Bereicherung sein möge, versichert Seine Heiligkeit alle seines Gebets und erteilt allen Teilnehmern an den verschiedenen vorgesehenen Veranstaltungen von Herzen seinen besonderen Apostolischen Segen.

Meinerseits wünsche ich den vollen Erfolg dieser edlen Initiative und verbleibe mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr im Herrn ergebener

Angelo Card. Sodano
Staatssekretär

 



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