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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN HERRN NAJI ABI ASSI,
BOTSCHAFTER DER REPUBLIK LIBANON BEIM HL. STUHL*

Freitag, 2. April 2004  

 

Herr Botschafter!

1. Es ist mir eine Freude, Eure Exzellenz im Vatikan zu begrüßen anläßlich der Überreichung des Beglaubigungsschreibens, das Sie als außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter der Republik Libanon beim Heiligen Stuhl akkreditiert.

Ich danke Ihnen für die zuvorkommenden Worte, die Sie an mich gerichtet haben, und bitte Sie, dem Präsidenten der Republik Libanon, Seiner Exzellenz General Émile Lahoud, meinen Dank zu übermitteln für die herzlichen Wünsche, die er mir durch Sie hat übermitteln lassen. Außerdem ist es mir ein Anliegen, durch Sie das ganze libanesische Volk zu grüßen: Bewegt erinnere ich mich noch an den begeisterten Empfang, der mir bei meiner Reise in Ihr Land bereitet wurde.

2. Herr Botschafter, Sie haben auf die derzeit so unsichere internationale Situation hingewiesen, die geprägt ist von einer tiefgreifenden Destabilisierung der Beziehungen zwischen den Nationen; dies ist zurückzuführen auf den Druck der Ereignisse im Irak, aber auch und vor allem auf die unentschuldbare, besorgniserregende Verschärfung des weltweiten Terrorismus. Angesichts dieser schwierigen Situation hört der Heilige Stuhl nicht auf, sich für die Rückkehr zur Stabilität und zur internationalen Ordnung auszusprechen. Notwendig ist hierzu die Anerkennung der regulativen Funktion der multilateralen Organisationen – insbesondere der Organisation der Vereinten Nationen – und die Förderung ihrer Entscheidungs- und Handlungsgewalt zur Eindämmung der Spannungsherde und zur Sicherung des Friedens.

Der Libanon, der so schwer von den Leiden eines langen, schrecklichen Krieges geprüft wurde, versucht nun aufs neue, an seine vorbildliche Tradition des Dialogs und des Gleichgewichts zwischen den verschiedenen kulturellen und religiösen Gruppen anzuknüpfen, aus denen sich die libanesische Nation seit jeher zusammensetzt.

Die Einwohner haben ihre Tätigkeiten wiederaufgenommen, um ihr Land neu aufzubauen und die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen wiederherzustellen, die eine Erneuerung des Libanon ermöglichen und die vielfältigen Reichtümer der libanesischen Kultur wieder zur Blüte bringen. Es bleibt zu wünschen, daß Ihr Land zu stabilen Bedingungen zurückfindet, denn sie fördern eine dauerhafte wirtschaftliche und soziale Entwicklung, die allen dient, vor allem den Bedürftigsten. Auf diese Weise läßt sich die Ausweitung von Situationen der Ungerechtigkeit, von wirtschaftlichen Schwierigkeiten und von Gefühlen der Frustration vermeiden, die das soziale Netz schwächen, weil sie bestimmte Bevölkerungsschichten vom Verbleib im eigenen Land abhalten und die Emigration begünstigen. Diese jedoch entkräftet die Nation, da sie ihr die kostbarsten Ressourcen, nämlich die Menschen selbst, entzieht. Mein Wunsch ist, daß sich alle Libanesen mutig am wirtschaftlichen, sozialen und politischen Leben ihres Landes beteiligen, um ihren Kindern eine Zukunft des Friedens und Fortschritts zu sichern. Dies setzt zugleich voraus – wie ich schon aus anderem Anlaß betonte –, »daß das Land seine volle Unabhängigkeit zurückgewinnt, eine vollständige Souveränität und eine Freiheit ohne Zweideutigkeiten« (vgl. Eine neue Hoffnung für den Libanon, 121). Ihre Mitbürger, Exzellenz, sollen keine Angst haben, sich aktiv für das Gemeinwohl einzusetzen, um auf diese Weise eine gesunde Praxis der politischen Entscheidungen zu unterstützen und das Funktionieren der Demokratie zu gewährleisten, denn dadurch wird die Identität des Libanon geschützt und gefestigt, dessen Berufung darin besteht, »Licht für die Völker der Region und Zeichen des Friedens, der von Gott kommt«, zu sein (vgl. ebd., 125).

Auch hege ich den Wunsch, daß die verschiedenen menschlichen und religiösen Gemeinschaften, die im Libanon vertreten sind, stets die gleichen Rechte und die gleiche Achtung genießen – als wesentliche Voraussetzung für das demokratische Leben und die Freiheit aller Menschen. Sie mögen sich an diesem gemeinsamen Werk beteiligen, indem sie unermüdlich zum gegenseitigen Respekt und Dialog auffordern, indem sie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft Stellung beziehen, um alle Einwohner an die Grundsätze zu erinnern, an denen sich das gesellschaftliche Leben auszurichten hat, und besonders indem sie ihren Beitrag leisten zur Erziehung der Jugendlichen, auf daß diese immer mehr zur Liebe der Gerechtigkeit und des Friedens und zur Achtung der Würde jedes Menschen angeregt werden.

3. Exzellenz, wie Sie nachdrücklich hervorgehoben haben, stellt die strategische Position des Libanon Ihr Land in den Mittelpunkt des Nahen Ostens und des schrecklichen Konflikts, von dem er noch immer heimgesucht wird, angefangen bei den nicht enden wollenden Auseinandersetzungen zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Volk, die seit über 50 Jahren andauern. Ihr Land, das den Zustrom vieler Menschen auf sein Staatsgebiet zu bewältigen hat, fühlt sich natürlich in dieses Drama miteinbezogen.

Wie ich schon des öfteren betont habe, darf die internationale Gemeinschaft sich ihrer diesbezüglichen Verantwortung nicht unter dem Vorwand anderer dringender Verpflichtungen entziehen, sondern sie muß sich ihr mutig stellen und alle betroffenen Parteien, vor allem die Israelis und die Palästinenser, zu einer raschen Wiederaufnahme des Dialogs auffordern, damit die erforderlichen Mittel gefunden werden, um diesem Teufelskreis gegenseitiger Gewalt ein Ende zu setzen. Dies ist die unerläßliche Voraussetzung für eine umfassende Beilegung des Konflikts, an der alle Staaten dieser Region mitwirken müssen. Außerdem möchte ich wiederholen, daß in diesem Teil der Welt kein dauerhafter Friede geschaffen werden kann ohne den politischen Willen und den festen Entschluß zur Anerkennung der Rechte eines jeden, einschließlich derer des Gegners, um mit ihm den Weg zum Frieden einzuschlagen im Respekt der Gerechtigkeit. Unabdingbar ist zudem die gegenseitige Vergebung, um jene fürchterlichen Wunden zu heilen, die durch die jahrelangen Gewalthandlungen und durch so viele zerrüttete Leben verursacht worden sind. Mögen alle politischen Verantwortungsträger diesen Aufruf hören und sich aktiv und unverzüglich für die Wiederaufnahme der Beziehungen einsetzen, im Dienst der so tief ersehnten Wiederherstellung des Friedens!

4. Gestatten Sie mir, Herr Botschafter, mich durch Ihre Vermittlung an die Patriarchen, die Bischöfe und alle Gläubigen der katholischen Gemeinden im Libanon zu wenden. Ich weiß, wie sehr ihnen ihr Land am Herzen liegt, und kenne den aktiven Beitrag, den sie im Namen ihres Glaubens zu seiner materiellen und geistlichen Entwicklung leisten. Ich ermutige die Katholiken der verschiedenen Riten zur Zusammenarbeit im Dienst an der Gemeinschaft und zur Fortführung der Bemühungen um Einheit mit den Brüdern anderer Konfessionen. Ganz besonders sollen sie sich im interreligiösen Dialog mit den Moslems engagieren, vor allem im Bereich der Jugenderziehung durch die akademischen und schulischen Einrichtungen, aber auch im Dialog des Lebens: Auf diese Weise werden sie wahre »Bauleute des Friedens« sein und einen Beitrag leisten zum Aufbau eines neuen Libanon, der in der Lage ist, die Mißverständnisse zu überwinden und das Gemeinwohl zugunsten aller seiner Söhne und Töchter zu fördern!

5. Zum Abschluß unseres Treffens freue ich mich, Ihnen meine besten Wünsche auszusprechen für eine erfolgreiche Erfüllung des edlen Auftrags, den Sie heute beim Heiligen Stuhl übernehmen. Seien Sie sich dessen gewiß, daß Sie bei meinen Mitarbeitern in den verschiedenen Dienststellen der Römischen Kurie stets eine gute Aufnahme finden werden.

Auf Eure Exzellenz, auf Ihre Mitarbeiter an der Botschaft und Ihre Angehörigen, auf die Verantwortlichen der Nation sowie das gesamte Volk des Libanon rufe ich von ganzem Herzen die Fülle des göttlichen Segens herab.


*L'Osservatore Romano n. 21 p.11.

 

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