ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE BISCHÖFE DER VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA
AUS DER KIRCHENPROVINZ NEW YORK
ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES
Freitag, 8. Oktober 2004
Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!
1. Mit großer Freude begrüße ich euch, die Hirten der Kirche in New York, im Rahmen der fortlaufenden Besuche »ad limina Apostolorum« der amerikanischen Bischöfe. Ich grüße euch im Namen unseres Erlösers Jesus Christus, durch den wir unserem himmlischen Vater stets danksagen, ihm, »der durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns ausdenken können« (Eph 3,20).
Bei den vorherigen Treffen mit euren Brüdern aus den Vereinigten Staaten richtete sich unsere Aufmerksamkeit auf die heilige Pflicht, das Volk Gottes zu heiligen und zu lehren. Mit der vorherigen Gruppe habe ich begonnen, über die schwere Verantwortung der Leitung der Gläubigen nachzudenken. Heute wollen wir eben dieses »munus regendi« weiter untersuchen, das stets im Geist jener Ermahnung verwirklicht werden muß, die im Ritus der Bischofsweihe zu finden ist: »Das Bischofsamt ist nicht zur persönlichen Ehre gegeben, sondern es ist eine Aufgabe, und der Bischof ist nicht da, zu herrschen, sondern zu dienen – wie der Herr geboten hat« (Pontificale Romanum, Ritus der Bischofsweihe: Predigt; vgl. Pastores gregis, 43).
2. In euren Teilkirchen seid ihr berufen, in »nomine Christi« zu handeln. Als Stellvertreter und Gesandte Christi leitet ihr den euch anvertrauten Teil der Herde (vgl. Lumen gentium, 27). Als Hirten habt ihr die Aufgabe, »die Familie der Gläubigen zusammenzuführen und in ihr die Liebe zu entzünden und die brüderliche Gemeinschaft zu fördern« (Pastores gregis, 5). Doch eure unmittelbare Aufgabe als Hirten darf nicht von eurer weiterreichenden Verantwortung für die universale Kirche losgelöst werden; als Mitglieder des Bischofskollegiums, »cum et sub Petro«, teilt ihr die Sorge für das gesamte Volk Gottes, die euch durch die Weihe und die hierarchische Gemeinschaft übertragen worden ist (vgl. Lumen gentium, 23). Als Garant der Gemeinschaft eurer Diözesen mit der Kirche in der Welt ermöglicht ihr auch der universalen Kirche, in einem geistigen »Gabenaustausch« aus dem Leben und den Charismen der Teilkirche zu schöpfen. Die wahre »katholische« Einheit setzt diese gegenseitige Bereicherung in dem einen Geist voraus. In einem angemessenen theologischen Kontext betrachtet, erscheint die »Leitungsgewalt« als etwas, das mehr ist als die bloße »Verwaltung« oder organisatorische Tätigkeit. Sie ist ein Werkzeug zum Aufbau des Reiches Gottes. Daher möchte ich euch ermutigen, weiter durch das Beispiel eures Lebens zu führen, damit eure Herde zu ihrer eigenen Heiligung evangelisiert und so vorbereitet wird, die Frohbotschaft mit anderen zu teilen. Fördert die Gemeinschaft in eurer Herde und rüstet sie für die kirchliche Sendung aus. Indem ihr die euch anvertrauten drei »munera« in Liebe annehmt, erinnert euch daran, daß eure heilige Verantwortung zu lehren, zu heiligen und zu leiten keinem anderem übertragen werden kann. Sie ist eure ganz persönliche Berufung.
3. Ich danke den amerikanischen Katholiken für die tiefe Zuneigung, die sie traditionsgemäß für den Nachfolger Petri hegen, wie auch für ihre Sensibilität und Hochherzigkeit gegenüber den Bedürfnissen des Heiligen Stuhls und der universalen Kirche. Die Bischöfe der Vereinigten Staaten haben stets eine tiefe Liebe zu dem gezeigt, in dem der Herr »ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft« eingesetzt hat (Lumen gentium, 18). Eure anhaltende Treue zum Römischen Papst bestärkt euch in dem Bemühen, die Bande zwischen der amerikanischen Kirche und dem Apostolischen Stuhl zu festigen. Dieses Gefühl der Ergebenheit ist Frucht jener hierarchischen Gemeinschaft, die alle Mitglieder des Bischofskollegiums mit dem Papst verbindet. Gleichzeitig ist es eine reiche geistliche Quelle zur Erneuerung der Kirche in den Vereinigten Staaten. Indem ihr euer Volk zu verstärkter Treue zum kirchlichen Lehramt und engerer Verbundenheit des Sinnes und Herzens mit dem Nachfolger Petri ermutigt, gebt ihr ihm die inspirierende Orientierung, die notwendig ist, um es ins dritte Jahrtausend zu führen.
4. Eine Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils ist das neue Verständnis der bischöflichen Kollegialität. Ein Weg, diese kirchliche Vision auf der Ebene der Ortskirche zu verwirklichen, ist die Tätigkeit der Bischofskonferenzen. Die Bischöfe können heute ihre Aufgabe nur dann fruchtbringend erfüllen, wenn sie ihr einträchtiges Wirken mit den anderen Bischöfen immer enger und straffer gestalten (vgl. Christus Dominus, 37; Apostolos suos, 15). Aus diesem Grund ist ein ständiges Nachdenken über die Beziehung zwischen der Bischofskonferenz und dem einzelnen Bischof geboten.
Liebe Mitbrüder im Bischofsamt, ich bete darum, daß ihr in diesem Geist der Kooperation und Einmütigkeit des Herzens eifrig zusammenarbeitet, der die Gemeinschaft der Jünger stets kennzeichnen sollte (vgl. Apg 4,32; Joh 13,35: Phil 2,2). Die Worte des Apostels richten sich besonders an jene, die im Dienst der Rettung der Seelen stehen: »Ich ermahne euch aber Brüder, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn: Seid alle einmütig, und duldet keine Spaltungen unter euch; seid ganz eines Sinnes und einer Meinung« (1 Kor 1,10).
Als kirchliche Verantwortungsträger werdet ihr erkennen, daß es ohne grundlegenden »consensus« keine Einheit der Praxis geben kann, und das kann bekanntlich nur durch offenen Dialog und sachkundige Diskussion erreicht werden, die auf gesunden theologischen und pastoralen Prinzipien gründen. Schwierige Fragen können gelöst werden, wenn sie wahrhaft und vollständig unter der Leitung des Heiligen Geistes geprüft werden. Scheut keine Mühe, damit die Katholische Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten ein wirksames Instrument zur Festigung eurer kirchlichen Gemeinschaft werde und euch helfe, eure Brüder und Schwestern in Christus zu leiten.
5. Ohne die von Gott empfangene Autorität eines Diözesanbischofs über eine Teilkirche in Frage zu stellen, sollte die Bischofskonferenz ihm helfen, seine Sendung in Übereinstimmung mit seinen bischöflichen Mitbrüdern zu erfüllen. Strukturen und Verfahrensweise der Konferenz sollten nie erstarren; vielmehr sollten sie durch ständige Erneuerung den wechselnden Anforderungen der Bischöfe angepaßt werden. Damit die Konferenz ihre Aufgabe erfüllen kann, ist unbedingt dafür zu sorgen, daß die Büros oder Kommissionen innerhalb der Konferenz bemüht sind, »den Bischöfen zu helfen, nicht aber, ihren Platz einzunehmen, und noch weniger, um eine Zwischenstruktur zwischen dem Heiligen Stuhl und den einzelnen Bischöfen zu bilden« (vgl. Pastores gregis, 63).
6. Brüder, ich bete darum, daß ihr bei allen Gelegenheiten zusammenarbeitet, damit das Evangelium in eurem Land wirksamer verkündet wird. Ich möchte meiner Wertschätzung für alles zum Ausdruck bringen, was ihr bereits gemeinsam erzielt habt, insbesondere durch eure Erklärungen zu Fragen in bezug auf das Leben, die Bildung und den Frieden. Nun bitte ich euch, eure Aufmerksamkeit vielen weiteren dringenden Problemen zu schenken, die die Sendung der Kirche und ihre geistliche Integrität unmittelbar betreffen, wie beispielsweise die rückgängige Teilnahme an der Sonntagsmesse und die geringe Nutzung des Sakraments der Versöhnung, die Gefährdung der Ehe und die religiösen Ansprüche der Immigranten. Erhebt eure Stimme und verkündet klar und deutlich die Botschaft des Heils, ob man sie hören will oder nicht (vgl. 2 Tim 4,2). Predigt die Frohbotschaft voll Zuversicht, damit alle gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen (vgl. 1 Tim 2,4).
7. Zum Abschluß meiner heutigen Betrachtungen mache ich mir die Worte des hl. Paulus zu eigen: »Laßt euch ermahnen, seid eines Sinnes, und lebt in Frieden!« (2 Kor 13,11). Indem ich euch und eure Priester, Diakone, Ordensleute und Laien der Fürsprache Marias, der Mutter Amerikas (vgl. Ecclesia in America, 76), anvertraue, erteile ich zum Unterpfand der Gnade und der Kraft in ihrem Sohn, unserem Herrn Jesus Christus, von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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